#EcoLesen #3 – Von Ketzern, Zauberern und Hexen

Heute ist der 30. April, und damit endet der Zeitraum, den Jana im Wissenstagebuch für die Leserunde zu Umberto Ecos Der Name der Rose eingeplant hatte. Ich bin über Tag 4 noch nicht hinausgekommen, werde also noch einige Zeit anhängen, möchte aber betonen, dass die zeitliche Verzögerung nicht daran liegt, dass ich mich durch den Roman hätte durchbeißen müssen. Ganz im Gegenteil: Ich finde, die Geschichte ist ein echtes Lesevergnügen, aber eines, das seine Zeit braucht.

Ein zentrales Thema in den Gesprächen, die William im Laufe der ersten vier Tage mit den Mönchen in der Abtei und mit Adson führt, ist die Frage, was Religion vom Aberglauben unterscheidet. Weiterlesen »

Weiße Häuser & First Ladies

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Eleanor Roosevelt (2. von links) und Lorena Hickok (1. von rechts) 1933. Quelle: Wikimedia Commons

Jackie Kennedy kennt jede*r, ihre Nachfolgerin Lady Bird Johnson ist als hübscher Name in Erinnerung geblieben, Betty Ford gründete eine Klinik zur Behandlung von Alkohol- und Drogenkranken, und Hillary Clinton hat es geschafft, dass Bill heute nicht mehr als ehemals mächtigster Mann der Welt, sondern als ihr Ehemann  in den Nachrichten auftaucht.

Eine weitere der First Ladies, deren Namen ebenso geläufig sind wie die ihrer Ehemänner, ist Eleanor Roosevelt, die Ehefrau von Franklin D. Roosevelt, US-Präsident von 1933 bis 1945. Sie erfüllte alle Voraussetzungen für den bekanntesten und schlechtest bezahlten Job mit der Nase an der gläsernen Decke: tadelloses Auftreten, soziales Engagement, engelsgleiche Geduld und Nachsicht für die  Affären ihres Mannes. Nebenbei war sie auch eine erfolgreiche Menschenrechtsaktivistin und Diplomatin, und außerdem hatte sie eine jahrelange Affäre mit der Journalistin Lorena Hickok, im Freundeskreis Hick genannt.

In ihrem Roman White Houses lässt Amy Bloom  Hick von dieser Beziehung erzählen, davon, wie sie Eleanor Roosevelt zum ersten Mal begegnet war, davon, wie die beiden von der Öffentlichkeit unbemerkt und vom Ehemann mehr als nur geduldet ihre Liebe lebten, aber auch davon, wie sie sich lange vor ihrer Tätigkeit im Weißen Haus aus schwierigsten Verhältnissen ins Zeitungsbusiness hochgearbeitet hatte.Weiterlesen »

2 Körper, 3 Seelen

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Brighton West Pier by Les Hatfield on flickr.com

pursuit of ordinaryHeute erscheint The Pursuit of Ordinary, der zweite Roman des Briten Nigel Jay Cooper. Ich durfte den Roman vorab über NetGalley lesen und möchte mich beim Verlag herzlich für die Möglichkeit bedanken, den  mir vollkommen unbekannten Autor kennenzulernen.

Beim Lesen des ersten Kapitels war ich nicht sonderlich angetan. Ach Gott, ein Mystery Thriller, dachte ich, nicht ganz mein Ding. Drei Personen unterhalten sich: Natalie, Daniel und Joe. Das Ungewöhnliche daran ist nur: Daniel und Joe teilen sich einen Körper, Dans Körper. Nach und nach erfahren wir, wie es dazu gekommen ist: Der obdachlose Dan war Zeuge, als Natalies Ehemann Joe in der Western Road in Brighton von einem Auto angefahren wurde und noch an der Unfallstelle starb. Kurz darauf bemerkte Dan, dass er in seinem Körper nicht alleine ist, dass auch Joe sozusagen darin wohnt und manchmal auch das Kommando übernimmt.

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Western Road, Brighton. Wikimedia Commons

Jetzt, zwei Monate später, konnte Joe Dan endlich davon überzeugen, Natalie aufzusuchen, um ihr mitzuteilen, dass es ihn noch gibt. Zu Dans Überraschung lässt Natalie ihn, den stinkenden Penner, in die Wohnung. Ihre Motivation: Dan war Zeuge des Unfalls, und sie möchte wissen, was genau er gesehen hat. Nun sitzen sie also in Natalies Wohnzimmer, Dan und Joe sprechen abwechselnd mit einem jeweils unverwechselbaren Akzent, und Joe erzählt Episoden aus seiner Ehe mit Natalie, um sie davon zu überzeugen, dass Dan kein verrückter Spinner ist. Es gelingt, Natalie zu überreden, Dan/Joe bei sich einziehen zu lassen. Erzählt werden uns diese Ereignisse, einschließlich seiner inneren Dialoge mit Dan, von Joe, der auch Zugang zu Dans Erinnerungen hat. So erfahren wir Einiges über dessen Lebensgeschichte.

Es dauert nicht lange, bis Natalie sich neu verliebt, allerdings nicht in Joe, sondern in Dan, und Joe fühlt sich immer mehr zurückgedrängt. Seine Verzweiflung erreicht einen Höhepunkt, als Natalie seine Mutter Valery nicht ins Haus und damit nicht in seine Nähe lässt.

Meine Meinung (Spoiler Alert!): The Pursuit of Ordinary erzählt nur auf den ersten Blick von übersinnlichen Phänomenen. Sehr bald stellt sich heraus, dass es die Geschichte von zwei Menschen ist, die aufgrund persönlicher Probleme und Schicksalsschläge in eine fast ausweglose Situation geraten sind und versuchen, mithilfe des anderen aus dieser Situation wieder herauszukommen. Der Roman hat 5 Teile: auf einen Teil,  in dem Joe die Geschichte aus seiner Sicht erzählt, folgt immer einer, in dem die selben Geschehnisse aus Natalies Sicht beleuchtet werden. Daniels Geschichte aus Joes Perspektive zu lesen verleiht dem Roman etwas Bedrohliches,  und die inneren Dialoge zwischen Joe und Dan steigern die Spannung noch. Der Autor schafft es, die Erzählung so zu konstruieren, dass ich als Leserin immer den Überblick behalten und trotzdem nie das Interesse verloren habe. Die meisten meiner Vermutungen, was hinter der Geschichte steckt, haben sich zwar bestätigt, aber das bedeutet nicht, dass ich enttäuscht war. Wer aber auf der Suche nach einem Thriller mit möglichst spektakulären Twists ist, sollte lieber zu etwas Anderem greifen, denn The Pursuit of Ordinary begleitet, wie der Titel andeutet, Menschen auf der Suche nach einem unspektakulären Leben. Es ist eben kein Mystery Thriller, sondern eine Studie über psychische Probleme und wie man mit diesen umgehen kann, verpackt in eine interessante Geschichte. Darüber hinaus stellt der Roman die Frage: ‚Was ist normal?‘ Nicht nur die Hauptpersonen, sondern auch deren Familienmitglieder und Partner werden in ihrem Handeln von  seelischen Konflikten und Abgründen beeinflusst.

Is mental health something you ‚lose’? Isn’t it just a moving target, a pendulum swinging back and forth? (E-Book auf NetGalley, S. 279)

Kann man seine psychische Gesundheit verlieren oder ist sie ein bewegliches Ziel, das wie ein Pendel hin und her schwingt? Mir gefällt dieses Bild sehr gut, und die Geschichte zeigt, dass es der Wahrheit sehr nahe kommt.

Nigel Jay Cooper, The Pursuit of Ordinary. John Hunt Publishing 2018. 309 Seiten.

World Book Day

Heute ist der Welttag des Buches, und ich möchte dem Beispiel von Andrea von Lesen…in vollen Zügen folgen und Euch fünf meiner Lieblingsbücher vorstellen („meine 5 Lieblingsbücher“ geht nicht, es kommen immer neue dazu, und Lieblingsbuch bleibt Lieblingsbuch):

Ganz oben auf meiner Liste steht Physician (Der Medicus) des amerikanischen Autors Noah Gordon: Die Geschichte des jungen Rob Cole, der sich von England aus in den Orient aufmacht, um Medizin zu studieren. Der Roman hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefangen genommen, es ist alles dabei: es ist ein Entwicklungsroman und gleichzeitig eine abenteuerliche Geschichte mit magischen Elementen, eine romantische Liebesgeschichte und ein kulturelles Panorama, das von London bis nach Isfahan reicht. Auch wenn Puristen historische Ungenauigkeiten kritisieren, für mich ist es der beste historische Roman aller Zeiten. Die Fortsetzung Shaman (Der Schamane), in der ein Nachfahre von Rob Cole im Mittelpunkt steht, hat mir ebenfalls gut gefallen, und auch The Last Jew (Der Medicus von Saragossa) habe ich mit großem Vergnügen gelesen, nur den letzte Teil der Medicus-Trilogie, Choices (Die Erben des Medicus) fand ich etwas lahm, vielleicht deshalb, weil dieser Roman in der Gegenwart angesiedelt ist.

Faithful Place (Sterbenskalt) war der erste Krimi der irischen Autorin Tana French, den ich gelesen habe, und auch wenn mir die anderen 5 der Dublin Murder Squad-Serie ebenfalls sehr gut gefallen haben, die Geschichte des Undercover-Polizisten Frank Mackey, der nach 20 Jahren das Rätsel um das Verschwinden seiner Jugendliebe Rosie löst, ist meiner Meinung nach die am besten gelungene Story. Für meinen Irland-Aufenthalt im heurigen Sommer habe ich mir eine Fotosafari durch das Viertel in Dublin vorgenommen, in dem die Story angesiedelt ist.

Auch das nächste Buch auf der Liste ist Teil einer Serie: Tintenherz ist der erste Teil der Tintenwelt-Trilogie von Cornelia Funke, und wie die Figuren in der Geschichte wurde auch ich vom Buch verschluckt und verbrachte viele Stunden in einer phantastisch-bedrohlichen Welt, die viel poetischer und spannender, aber auch viel grausamer ist als unsere Realität. Teil 2, Tintenblut, und Teil 3, Tintentod, habe ich natürlich auch gelesen und war ebenfalls fasziniert, aber ich kann mich auch daran erinnern, dass ich danach keine Lust auf eine weitere Fortsetzung gehabt hätte.

Auf Prince of Tides (Die Herren der Insel) von Pat Conroy wäre ich vermutlich nie aufmerksam geworden, wenn mich nicht die Verfilmung mit Barbra Streisand und Nick Nolte begeistert hätte, die unter dem deutschen  Titel Herr der Gezeiten im Kino lief. Die Geschichte eines Mannes, der mühsam die Geheimnisse der Vergangenheit aufdeckt,  die sowohl ihn als auch seine Schwester in eine tiefe psychische Krise gestürzt haben, ist nicht ganz zufällig auf der Liste meiner Lieblingsbücher gelandet: da ich selbst einen Zwillingsbruder habe, kann ich gut verstehen, wie die enge Verbindung zwischen den beiden ihr Leben auch über große Distanzen hinweg beeinflusst. Viele Jahre nach Prince of Tides habe ich übrigens The Great Santini (Der große Santini) gelesen, ein Buch, in dem Pat Conroy die konfliktreiche Beziehung zu seinem Vater aufarbeitet. Leider hat mich dieser Roman bei weitem nicht so begeistert, für mich ist Pat Conroy damit ein One-Book-Wonder geblieben.

Das letzte Buch dieser Auswahl ist auch die jüngste Ergänzung meiner persönlichen Bestenliste: Unter der Drachenwand von Arno Geiger. Die fiktiven Tagebuchaufzeichnungen eines Soldaten auf Genesungsurlaub am Mondsee kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs haben mich begeistert, wie das schon lange nicht mehr der Fall war.  Unbedingt lesen!

Einige meiner Lieblingsbücher sind gerade im Freundeskreis auf Wanderschaft, daher zeige ich Euch auf dem Titelbild statt dessen mein Lieblingsbücherregal samt SuB im Hintergrund.

 

 

Literatur im Nebel 2018

IMG_1196Am vergangenen Wochenende fand im niederösterreichischen Heidenreichstein  das Festival Literatur im Nebel 2018 statt. Wie auf dem Foto unschwer zu erkennen, hat der Titel nichts mit dem herrschenden meteorologischen Bedingungen zu tun; er ist der Tatsache geschuldet, dass Literaturliebhaber ursprünglich nicht mitten im Frühling, sondern Ende Oktober ins nördliche Waldviertel pilgerten, um einen Superstar der Literaturszene zu feiern. ‚Superstar‘ mag ein bisschen übertrieben klingen, aber schon im Gründungsjahr 2006 war der Ehrengast Salman Rushdie. Dieser musste aufgrund der gegen ihn ausgerufenen Fatwa heimlich anreisen. Ihm folgten, mit wesentlich mehr Publicity, unter anderem Amos Oz,  Margaret Atwood, Jorge Semprún, Ian McEwan, und sowohl im letzten Jahr als auch heuer jeweils eine Literaturnobelpreisträgerin. 2017 war es die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch, wie in einem Beitrag nachzulesen, heuer hieß der Ehrengast Herta Müller.  Sie wurde in Rumänien geboren, ihre Familie gehörte zur deutschsprachigen Minderheit. Herta Müller studierte Germanistik und Rumänistik und arbeitete dann als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik. Als sie sich weigerte, für die Securitate zu spionieren, wurde sie von dieser schikaniert und bedroht. 1987 konnte sie in die BRD ausreisen; bis 1989 sei sie dort im Exil gewesen, sagt sie, erst seit Ceausescus Ende sei sie freiwillig in Deutschland.

In ihren Büchern verarbeitet Herta Müller ihre Erfahrungen mit dem totalitären politischen Regime, sie beschreibt aber keine autobiographischen Geschehnisse, sondern fiktive Ereignisse aus dem Autobiographischen heraus. Weiterlesen »