Ein Brite in Saigon

In weniger als vier Woche werde ich nach Hanoi fliegen, um von dort aus gemeinsam mit einer Freundin eine Fotoreise durch Vietnam zu machen. Damit wird es höchste Zeit, die schon seit Monaten auf dem SuB wartende passende Lektüre in Angriff zu nehmen. Der erste Titel auf meiner Liste ist ein erstmals 1955 veröffentlichter Klassiker, The Quiet American (Der stille Amerikaner) von Graham Greene. Der britische Autor verarbeitete darin die während seiner Vietnam-Aufenthalte in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre gesammelten Eindrücke und Erfahrungen. Laut seinem Biographen Michael Shelden trug er aber nicht nur Material für seinen Roman zusammen, schrieb Reportagen für das Life Magazine und machte Interviews, unter anderem mit dem kommunistischen Diktator Ho Chi Minh, sondern arbeitete auch für den britischen Geheimdienst, konsumierte reichlich Alkohol und Opium, vertrieb sich die Zeit im Bordell und begab sich absichtlich an möglichst gefährliche Kriegsschauplätze, in der Hoffnung, dort sein Leben auszuhauchen, um damit seiner in Großbritannien verbliebenen Geliebten Catherine Crompton Walston das Herz zu brechen. Nachzulesen ist das alles in Kapitel 19 von Sheldens leider nur antiquarisch und auf Englisch erhältlicher Biographie Graham Greene: The Man Within. 

Der Brite Thomas Fowler ist in der letzten Phase des Indochinakriegs, in dem die Franzosen ihre Kolonie gegen die kommunistische Việt Minh  zu verteidigen versuchen, als Kriegsberichterstatter in Saigon tätig und wartet eines Abends vergeblich auf den viele Jahre jüngeren amerikanischen Handelsdelegierten Alden Pyle, der ihm Monate zuvor seine vietnamesische Geliebte Phuong ausgespannt hat. Nachdem klar geworden ist, weshalb Pyle nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erschienen war, erinnert sich Fowler an dessen Ankunft in Saigon und die Geschehnisse danach.Weiterlesen »

#DickeBücherCamp: Owen Meany

IMG_5075.jpgHeute ist von Charlie Byrne’s in Galway die letzte Lieferung der Bücher gekommen, an denen ich während meiner Irlandreise nicht vorbeigehen konnte, und der Stapel wird mich wohl noch länger beschäftigen. Aber da ich nicht nur irische Autor*innen lesen möchte, habe ich zwischendurch (wenn man das bei einem Wälzer so nennen kann) auch einem amerikanischen Autor einen längst überfälligen Besuch abgestattet.

Auf seiner Homepage gibt John Irving allen Leser*innen einen Rat: Wenn sie wissen möchten, worum es in einem Buch geht, sollten sie doch einfach die ersten Absätze des ersten Kapitels lesen, denn das sei das Einzige, was der Autor oder die Autorin einem mit auf den Weg geben möchte. ‚Glauben Sie mir: der Autor möchte einfach, dass Sie zu lesen beginnen‘, schreibt er. Gut, hier also der erste Satz der deutschen Übersetzung von A Prayer for Owen Meany:

Ich bin dazu verdammt, mit der Erinnerung an einen Jungen mit einer entsetzlichen Stimme zu leben – nicht wegen seiner Stimme, auch nicht, weil er der kleinste Mensch war, der mir je begegnet ist, und nicht einmal, weil er das Werkzeug zum Tod meiner Mutter war, sondern weil er der Grund ist, warum ich an Gott glaube: wegen Owen Meany bin ich Christ geworden. (S. 11 der deutschen Ausgabe)

Irving hält diesen Satz für einen der besten ersten Sätze, die er je geschrieben hat. Es könnte aber auch ein letzter Satz sein. In einem Interview, das die Hörbuchversion auf audible begleitet, erzählt er, dass er mit dem Schreiben immer am Ende beginnt. Wenn er die ersten Absätze zu Papier bringt – er tut das handschriftlich, um nicht schneller zu schreiben als er denken kann – hat er schon ein bis eineinhalb Jahre am Konzept seiner Geschichte gearbeitet und weiß genau, wie diese ausgeht, hat den letzten Satz, manchmal die letzten Seiten, schon fertig und ändert auch nichts mehr daran. Das Ergebnis ist bei Owen Meany ein Roman, der bis ins kleinste Detail durchkomponiert ist und gleichzeitig jede Menge Überraschungen bereit hält. Diese unvorhersehbaren Wendungen seien auch so manchen Kritikern zum Verhängnis geworden, meint Irving: ihren Beiträgen war anzumerken, dass sie das Buch nie zu Ende gelesen hatten. Amerikanische Kritiker hätten auch, anders als ihre deutschen Kolleg*innen, den Einfluss von Günter Grass‘ Blechtrommel nicht erkannt. Wenn man als Schriftsteller Zitate und Anspielungen verwende, komme einem das immer so offensichtlich vor, aber natürlich sei es nur für die offensichtlich, die das andere Buch auch gelesen haben.

In Owen Meany geht es um Freundschaft und Religion, aber für den Autor ist es vor allem auch der zweite Roman, der sich mit einem hochpolitischen Thema auseinandersetzt. In Gottes Werk und Teufels Beitrag (The Cider House Rules) ist es das Thema Abtreibung, bei Owen Meany sind es der Vietnamkrieg und die damit verbundene Wehrpflicht. Um diese Themen behandeln zu können, habe er auch zeitlichen Abstand zu den beschriebenen Geschehnissen benötigt, und um diesen zum Ausdruck zu bringen, lässt Irving den nach Kanada ausgewanderten Ich-Erzähler John Wheelwright 1987 die Geschichte seiner  Freundschaft mit Owen Meany erzählen, die in den 1960er-Jahren in einer Kleinstadt in New Hampshire begann. Die Ich-Erzählung habe er als „letzte Rettung“ gewählt, weil sich diese Geschichte für ihn nicht anders habe erzählen lassen.

Meine Meinung: John Irvings Bücher passen alle ausgezeichnet ins #DickeBücherCamp, das Nordbreze Marina für den Sommer 2018 ausgerufen hat. Kaum ein Irving-Roman hat weniger als 600 Seiten, man sollte also etwas Zeit erübrigen können. Da genau das der Haken bei der Sache ist, habe ich die Hörbuchversion gewählt – in diesem Fall eine Entscheidung mit Mehrwert. In der gedruckten Fassung wird Owen Meanys „entsetzliche Stimme“ durch Großbuchstaben dargestellt. Im Hörbuch verleiht, von Irving selbst als Vortragender ausgewählt, Joe Barrett der Titelfigur eine Stimme, die unter die Haut geht – love it or hate it!

Irvings siebter Roman gehört zu den literarischen Werken, über die man eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit schreiben könnte (vielleicht ist das auch schon geschehen). Ich war fasziniert und beeindruckt, und ich kann hier nicht annähernd alles festhalten, was mir beim Anhören durch den Kopf gegangen ist. Owen bezeichnet sich selbst als „Gottes Instrument“, und  der Autor nennt seinen Titelhelden einen Propheten, der, wie alle Propheten, Dinge sagt, die die Menschen nicht hören wollen. Auch wenn mich die religiösen Fragen, die aufgeworfenen werden, persönlich nicht sehr intensiv beschäftigen,  Irving gelingt es, ihre Komplexität darzustellen, ohne dass die Geschichte dadurch langweilig wird. Viel mehr interessiert haben mich dennoch die politischen Aspekte. Owen Meany legt die Finger in jede Wunde, von JFKs Affäre mit Marilyn Monroe bis zum Vietnamkrieg, und Irving lässt ihn am 7. Juli 1968 folgendes in sein Tagebuch schreiben:

IST DIESES LAND EINFACH SO RIESIG, DASS ES ALLES SO ÜBERTRIEBEN VEREINFACHEN MUSS? DER KRIEG ZUM BEISPIEL: ENTWEDER HABEN WIR EINE STRATEGIE, UM IHN ZU ‚GEWINNEN‘, WAS UNS – FÜR DEN REST DER WELT – ZU MÖRDERN MACHT; ODER WIR STERBEN, OHNE FÜR DEN SIEG ZU KÄMPFEN. UNSERE SOGENANNTE ‚AUSSENPOLITIK‘ ZUM BEISPIEL: ‚AUSSENPOLITIK‘ IST BEI UNS LEDIGLICH EINE BESCHÖNIGENDE BEZEICHNUNG FÜR REKLAME IN EIGENER SACHE, UND DIE REKLAME, DIE WIR FÜR UNS SELBST BETREIBEN, WIRD IMMER SCHLECHTER. WIR WERDEN EINE NIEDERLAGE KASSIEREN, UND WIR SIND KEINE GUTEN VERLIERER.

DAS, WAS WIR ‚RELIGION‘ NENNEN, ZUM BEISPIEL: MAN BRAUCHT NUR SONNTAGS MORGEN IRGENDEINEN FERNSEHSENDER EINZUSCHALTEN! ALL DIE CHÖRE UND ARMEN UND UNGEBILDETEN – UND DIESE FURCHTBAREN PREDIGER, DIE IHRE GESCHICHTEN VOM GUTEN HERRN JESUS WIE HAMBURGER VERKAUFEN. BALD WIRD AUCH IM WEISSEN HAUS EIN PREDIGER SITZEN; BALD KRIEGEN WIR EINEN KARDINAL ALS VORSITZENDEN DES OBERSTEN GERICHTSHOFS, UND EINES TAGES WIRD ES EINE EPIDEMIE GEBEN – ICH WETTE, IRGENDEINE MONSTRÖSE GESCHLECHTSKRANKHEIT, UND WAS WERDEN UNSERE EINZIGARTIGEN FÜHRER, UNSERE KIRCHENFÜRSTEN UND STAATSMÄNNER DANN SAGEN? WIE WERDEN SIE UNS HELFENß GANZ BESTIMMT WERDEN SIE UNS NICHT HEILEN – ABER WOMIT WERDEN SIE UNS TRÖSTEN? MAN BRAUCHT NUR DEN FERNSEHER EINZUSCHALTEN, UND SCHON ERFÄHRT MAN, WAS UNSERE EINZIGARTIGEN FÜHRER, UNSERE KIRCHENFÜRSTEN SAGEN WERDEN: „ICH HAB’S EUCH JA GESAGT!“ WERDEN SIE SAGEN, ‚DAS HABT IHR VON DER RUMVÖGELEI – ICH HAB EUCH JA GEWARNT, IHR SOLLT ES NICHT VOR DER EHE MACHEN.‘ SIEHT DENN NIEMAND, WAS DIESE DUMMKÖPFE IM SCHILDE FÜHREN? DIESE SELBSTGERECHTEN FANATIKER SIND NICHT ‚RELIGIÖS‘ – IHRE HAUSBACKENE WEISHEIT HAT NICHTS MIT ‚MORAL‘ ZU TUN.

DAS IST DIE RICHTUNG, IN DIE SICH UNSER LAND BEWEGT – HIN ZUR ÜBERTRIEBENEN VEREINFACHUNG. WIE EIN ZUKÜNFTIGER PRÄSIDENT AUSSEHEN WIRD? DA BRAUCHT MAN NUR AN EINEM BELIEBIGEN SONNTAGMORGEN DAS FERNSEHEN EINZUSCHALTEN – SICH IRGENDEINEN VON DIESEN TELEPFAFFEN ANZUSEHEN. DAS IST ER, DAS IST DER PRÄSIDENT DER ZUKUNFT! (S. 833f. der deutschen Ausgabe)

Drei Jahrzehnte sind vergangen, seit John Irving das zu Papier gebracht hat. Damals war Ronald Reagan Präsident der Vereinigten Staaten, Owens Vorhersagen  hatten sich weitgehend bewahrheitet und für Liberale sah es so aus, als könnte es nicht mehr schlimmer werden. Sie sollten sich irren. 

Alles bisher Gesagte klingt ein bisschen so, als wäre A Prayer for Owen Meany eine Abhandlung über Religion, Gesellschaft und Politik, verpackt in einen Roman, aber das stimmt nicht: Es ist eine sehr persönliche Geschichte, die Geschichte einer Liebe, wie auch Irving im Interview hervorhebt. Und es ist eine Geschichte, bei der die Spannung auch dann nicht abreißt, wenn sich ein ganzes Kapitel mit einem einzigen Weihnachtsfest beschäftigt. Jede Szene ist wie ein Blick durch ein Vergrößerungsglas, das die Welt des Owen Meany in Einzelbilder zerlegt, bis ein komplettes Bild entsteht. Ein Roman ohne Längen, finde ich, und das ist fast erstaunlich. Vermutlich liegt die Erklärung in etwas, was mir mein Buchhändler einmal erzählt hat: John Irving veröffentliche zwar 800-Seiten-Wälzer, aber bis es soweit sei, habe er 8.000 Seiten geschrieben und wieder zusammengestrichen. 

Mein Fazit: Ich muss unbedingt bald den nächsten John Irving in Angriff nehmen. Also ganz schnell die 11 kg Literatur von meiner Reise und dann zurück ins #DickeBücherCamp.

John Irving, A Prayer for Owen Meany. Erstveröffentlichung 1989. Reprint Harper 2012. 640 Seiten. 

Als Audiobook präsentiert von Joe Barrett. Audible Vanguard Series 2009. 26 h 53 min. 

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Edith Nerke und Jürgen Bauer: Owen Meany. Diogenes 1990, 853 Seiten. 

Der Verlierer gewinnt

Heirate nie in Monte Carlodiesen Rat gibt der deutsche Titel von Graham Greenes Erzählung Loser Takes All, und während die meisten von uns erst gar nicht Gefahr laufen werden, sich das aussuchen zu können, findet sich Bertram, ein kleiner Buchhalter in einer britischen Firma, am Vorabend der Hochzeit mit seiner um 20 Jahre jüngeren Verlobten Cary auf dem Balkon einer großzügigen Suite des Hôtel de Paris in Monaco wieder. Zu verdanken hat er das Herbert Dreuther, einem der Bosse seiner Firma. Dreuther hat Bertram, obwohl er ihn zuvor nie auch nur wahrgenommen hatte, aus einer Laune heraus dazu eingeladen, seine bevorstehenden Flitterwochen auf seiner Yacht an der Côte d’Azure zu verbringen und ließ die Hochzeit kurzerhand ins Bürgermeisteramt des Fürstentums verlegen. Allerdings taucht der ‚Grand Old Man‘ nicht wie versprochen rechtzeitig auf, um als Trauzeuge zu fungieren, und die frisch Vermählten müssen, obwohl das ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem übersteigt, weiterhin im Luxushotel wohnen. Bertram hat  ein Talent für Zahlen, und da liegt es nahe, das Urlaubsbudget als Systemspieler am Roulette-Tisch aufzubessern. Zunächst verliert er, aber dann beginnt er zu gewinnen.

Meine MeinungHeirate nie in Monte Carlo klingt wie der Titel einer Hollywoodkomödie, und tatsächlich ist kurz nach Veröffentlichung der Erzählung im Jahr 1956 eine (allerdings britische) Verfilmung ins Kino gekommen. Das lässt darauf schließen, dass die Geschichte von vornherein fürs Kino bestimmt war. Ich habe den Film nie gesehen, aber der Trailer dazu verspricht eine temporeiche Story vor einer Bilderbuchkulisse, eine nicht allzu anspruchsvolle romantische Komödie mit witzigen Dialogen. Greene-Biograph Michael Shelden nennt das Buch ‚an undistinguished short novel‚ (S.417), aber ’nicht besonders‘ ist bei einem Schriftsteller wie Graham Greene immer noch wesentlich besser als so manches, was andere in Buchform veröffentlichen. Der Autor selbst nannte seine Geschichte eine ‚frivolity‘, und das Frivole daran ist vermutlich, dass er sich einfach hingesetzt und zum Spaß eine Novelle geschrieben hat, in der er sich über die menschliche Natur im Allgemeinen und deren Umgang mit Geld im Besonderen lustig macht. Die Figuren sind dabei, wie in anderen Romanen des Autor, von einem Hauch von Tragik und Versagen umgeben. Cary hat ihre Eltern im Blitzkrieg verloren und ist bei einer Tante aufgewachsen, Bertram ist zwar ein Mathematikgenie, hat aber bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich und fristet sein Dasein in einer untergeordneten Position ohne Aussicht auf Beförderung, sodass er sich und seiner Braut nur eine bescheidene Hochzeit finanzieren kann. Dann kommt Mr. Dreuther und spielt Schicksal, ohne sich über die Konsequenzen seines Handelns auch nur die geringsten Gedanken zu machen. So wird aus der leichten Liebeskomödie ein typischer Graham Greene. Laut Shelden ist die Figur des Herbert Dreuther eine nicht böse gemeinte Karikatur des Filmroduzenten Alexander Korda, über den Greene sich schon zuvor immer wieder lustig gemacht hatte. Ein bisschen schade finde ich, dass die Figur der Cary sehr stereotyp dargestellt ist, aber das ist wohl dem Genre und der Zeit geschuldet und hat mein Vergnügen am Buch nicht beeinträchtigt. Ein unterhaltsames Lesevergnügen für einen entspannten Urlaubstag.

Eine weitere Besprechung findet ihr bei literaturen.

Graham Greene, Heirate nie in Monte Carlo. Wagenbach SALTO 2015. 120 Seiten.

Im englischen Original: Loser Takes All. Penguin Books 1977. 124 Seiten. Nur antiquarisch erhältlich. 

Michael Shelden, Graham Greene: The Man Within. QPD London 1994. 537 Seiten. Nur antiquarisch erhältlich.

 

#EcoLesen #1 -Umberto Eco unter Palmen

Umberto Eco veröffentlichte Der Name der Rose 1980, die deutsche Übersetzung erschien 1982, und als ich den Roman 1985 als Urlaubslektüre einpackte, war es ein Buch, das man einfach gelesen haben musste. Ich verbrachte damit einen Großteil meiner Ferien und hatte meinen Spaß beim Lesen, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann, ob ich allen Details der Lösung des Kriminalrätsels folgen konnte. Wenn ich später an das Buch zurückdachte, tauchten aber nicht in erste Linie Bilder von kalten Novembernächten in einem finsteren mittelalterlichen Kloster auf, sondern von Palmen, Sonnenschein und türkisblauem Meer, und das fand ich irgendwie schade, so, als hätte ich das Buch nur halb gelesen. Daher war ich von Janas  Einladung zu einer Leserunde in ihrem Wissenstagebuch sofort begeistert. In nächster Zeit werdet Ihr hier also meine Gedanken zu „Umberto Ecos Name der Rose – revisited“ lesen können.  Janas erste Eindrücke sind pünktlich zum Start der Leserunde heute erschienen.

Ich bin über den Prolog noch nicht hinausgekommen, aber die ersten Seiten enthalten schon einiges Bemerkenswerte.

Das mit 5. Januar 1980 datierte Vorwort gibt so manchen augenzwinkernden Hinweis darauf, wie Eco an die Sache herangeht:

Der geneigte Leser möge bedenken: was er vor sich hat, ist die deutsche Übersetzung meiner italienischen Fassung einer obskuren neugotisch-französischen Version einer im 17. Jahrhundert gedruckten Ausgabe eines im 14. Jahrhundert von einem deutschen Mönch auf Lateinisch verfassten Textes. (S.10)

Die ‚obskure neugotisch-französische Version‚ sei ihm 1968, zur Zeit des Prager Frühlings, in die Hände gefallen, und er habe ‚gleichsam aus dem Stand eine Rohübersetzung angefertigt‚, während er, nach dem Einmarsch der Sowjets aus der CSSR geflohen, mit einer sehnsüchtig erwarteten Liebe von Wien aus über Melk (von dort stammt der deutsche Mönch) an den Mondsee bei Salzburg gereist sei, wo sich die Liebe gemeinsam mit dem Manuskript wieder verflüchtigt habe. Zurück blieb der Autor mit der Rohübersetzung, und ein Jahrzehnt später fühle er sich denn nun frei, auf Basis dieser Übersetzung des Adsonschen Mönchslateins (S.11) ‚aus schierer Lust am Fabulieren die Geschichte des Adson von Melk zu erzählen‘ (S.12)

Dass Mönchslatein ähnliche inhaltliche Besonderheiten aufweist wie Jägerlatein lässt sich natürlich nur vermuten, aber Eco, der Professor für Semiotik (Zeichentheorie), hat seine Zeichen ganz sicher nicht zufällig gesetzt, als er an die ‚Nachlässigkeit französischer Gelehrter bei der Angabe halbwegs zuverlässiger Quellenvermerke‘ erinnert (S.9) und Adson von Melk berichten lässt, er habe über die Landsleute des Franziskanermönchs William von Baskerville, an dessen Seite er als ‚blutjunger Benediktiner-Novize‘ seine Abenteuer erlebte, später gelernt, dass sie ‚häufig die Dinge in einer Weise zu definieren pflegen, in welcher das klare Licht der Vernunft keine allzu große Rolle spielt‘ (S.24).

Über die politische Korrektheit solcher Aussagen ließe sich heute (nicht) streiten, aber da ich darauf vertraue, dass auf den folgenden 620 Seiten die spitze Feder noch oft zustechen wird, ohne dass es allzu böse gemeint ist, werde ich nun der Anregung folgen, mit der Eco sein Vorwort schließt:

‚In omnibus requiem queasivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro‘, (Im Anhang übersetzt mit: ‚In allem habe ich Ruhe gesucht und habe sie nirgends gefunden, außer in einer Ecke mit einem Buch.‘)

Umberto Eco, Der Name der Rose. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. (c)  Carl Hanser Verlag München 1982. Lizenzausgabe für die Deutsche Buch-Gemeinschaft. Alle Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe. 

Listening to Colin Firth

Die Entscheidung ‚Hörbuch statt Buch‘ treffe ich sehr oft deswegen, weil es eine gute Möglichkeit für mich ist, Bücher kennenzulernen, für die mir ansonsten die Zeit fehlen würde. Bei The End of the Affair von Graham Greene war das aber anders: Ich kenne das Buch schon seit meiner Schulzeit und es steht, wie alle anderen Bücher von damals, immer noch in meinem Bücherschrank. Vor einiger Zeit entdeckte ich dann eine von Colin Firth gelesene Hörbuchversion, und die hätte ich ganz sicher auch dann gekauft, wenn sie nicht mit dem AudieAwards-Preis als bestes Hörbuch des Jahres 2013 ausgezeichnet worden wäre.

Der Ich-Erzähler Maurice Bendrix, von Beruf Schriftsteller, trifft im Nachkriegslondon Henry Miles wieder, einen hochrangigen Beamten im Home Security Office, mit dessen Frau Sarah er bis 18 Monate zuvor eine Affäre gehabt hatte. Henry scheint ahnungslos, denn sonst würde er Bendrix wohl kaum sein Herz ausschütten: Er verdächtigt Sarah, ihn zu betrügen, hat aber nicht den Mut, sich Gewissheit zu verschaffen. Bendrix bietet ihm an, an seiner Stelle einen Privatdetektiv damit zu beauftragen, Sarah zu beschatten. Er tut das aber nicht aus alter Freundschaft, sondern weil ihn selbst die Eifersucht auffrisst. Weiterlesen »