Scottish Crime

Das Jahr 2020 nähert sich (endlich) seinem Ende, und viele von uns werden es wohl nicht in allzu guter Erinnerung behalten. Dafür war es einfach zu mühsam – für mich zumindest. Aber besonders in schwierigen Zeiten ist es wichtig, sich selbst hin und wieder eine Freude zu machen und Traditionen, die einem gut tun, hochzuhalten. Beides habe ich vor kurzem in einem Aufwisch erledigt, sozusagen zwei Vögel mit einem Stein getötet. Wenn euch dieses Bild aus Gründen des Sprachschutzes (vom Tierschutz wollen wir mal absehen) sauer aufstößt, bitte ich euch, auf den nächsten Beitrag zu warten. Ich verspreche, es wird nicht wieder ein halbes Jahr dauern… Aber zurück zu den guten alten Traditionen. Tradition Nr. 1: Im Dezember mir selbst ein Weihnachtsgeschenk machen – eine Shoppingtour in einer Buchhandlung ohne schlechtes Gewissen und Rücksicht auf den SUB. Tradition Nr. 2: Den neuesten Roman von Tana French, meiner aller-allerliebste Krimiautorin, der verlässlich alle zwei Jahre im Herbst erscheint, in den Weihnachtsferien lesen. Als Draufgabe zur ohnehin garantierten Stimmungsaufhellung durch literarischen Hochgenuss bietet Waterstones The Searcher von der Autorin signiert an, und da meine Stammbuchhandlung auf unbestimmte Zeit geschlossen war (welcher Voll…. hat das für eine gute Idee gehalten?), bestellte ich dieses Schmuckstück für mein Bücherregal über das Internet. Und um gleich noch einen weiteren Vogel abzuschießen, d.h. eine Lücke in meiner Leseliste zu schließen, beförderte ich A Song for the Dark Times, den neuesten Titel aus Ian Rankins Rebus-Reihe, gleich mit in den Warenkorb. Ins schottische Edinburgh hatte mich meine Krimileidenschaft nämlich noch nie geführt. Die Wartezeit bis zum Liefertermin verkürzte ich mir mit dem 1987 erschienenen ersten Titel der Rebus-Reihe. In Knots & Crosses (Verborgene Muster) erhält der ehemalige Elitesoldat John Rebus, jetzt durchschnittlich begabter und motivierter Detective Seargent in Edinburgh, geschieden und Vater einer fast 12-jährigen Tochter, die Knoten und Kreuze aus dem englischen Titel in Kuverts ohne Absender durch die Tür geschoben. Er kann sich keinen Reim auf die Nachrichten machen und versucht, sich statt dessen auf die Suche nach einem Serienmörder zu konzentrieren, der es offenbar ohne sexuelle Motive auf junge Mädchen abgesehen hat, auf die ihre Eltern nicht gut genug aufpassen. Das Konzentrieren fällt ihm schwer, denn erstens steht es um sein Nervenkostüm nicht zum Besten, und zweitens sucht er als Gegengewicht zu seinen wenig abwechslungsreichen sexuellen Träumen nach realen Begegnungen mit realen Frauen. Aber auch diese Begegnungen sind nicht wirklich eine Erfolgsgeschichte.

Meine Meinung: In einer Einleitung zur 2007 auf Bookbeat veröffentlichten Hörbuchversion seines ersten Rebus-Krimis erzählt Ian Rankin einiges über dessen Entstehungsgeschichte. Er sei 1985 ein junger Mann mit Liebe zu Sprache und Literatur, aber ohne irgendeine Ahnung von Polizeiarbeit gewesen. Dementsprechend sei die Geschichte voller literarischer Bezüge, von Shakespeare und Dostojewski bis zu Norman Mailer und Muriel Spark, über die er gerade seine Abschlussarbeit geschrieben hatte. Die wenigen Details über das Aussehen des Inspektors stimmen mit dem Aussehen seines Schöpfers ebenso überein wie sein Wohnort in der Arden Street in Marchmont, einem wohlhabenden Bezirk Edinburghs und die Marke seines Kassettendecks. John Rebus denke nicht wie ein Cop, sondern wie der Student mit literarischen Ambitionen, der ihn erfunden hatte und der ihn im ersten Entwurf hatte sterben lassen wollen. Daher habe er ihm auch unbekümmert ein komplexes Seelenleben verpasst, nicht ahnend, dass darauf noch 22 Titel und 35 Jahr später Rücksicht zu nehmen sein werde. Der erste Entwurf seiner Geschichte, deren Grundmotiv Robert Louis Stevensons Dr. Jekyll und Mister Hyde ist, sei 250 Seiten lang gewesen, und auf Anraten seiner Agentin habe er ihn nochmals gekürzt. Herausgekommen ist eine Geschichte, die die Verflechtungen zwischen den Charakteren nur grob umreißt, was ich beim Zuhören aber als eher wohltuend empfunden habe, auch wenn das Ende für meinen Geschmack gerne etwas mehr ausgeschmückt sein dürfte. Auch das Motiv von Dr. Jekyll und Mister Hyde finde ich nur angedeutet, ohne dass mir deswegen aber etwas abgeht. Apropos abgehen: Morgen sperren in Österreich die Buchhandlungen endlich wieder auf.

Weitere Besprechungen des Romans findet ihr in der crimealley und im wortgestöber.

Ian Rankin, Knots & Crosses, als Hörbuch gelesen von Bill Paterson, 1999 Orion Publishing Group, mit einer Einleitung des Autors auf Bookbeat 2007, 3 h 24 min.

In deutscher Übersetzung von Ellen Schlootz: Verborgene Muster. Wilhelm Goldmann Verlag München 2000, Neuveröffentlichung 2019. 225 Seiten.

Ein Buch auf Reisen

In zwei Tagen ist der offizielle Erscheinungstermin des neue Romans von Tana French, tatsächlich war die deutsche Übersetzung aber schon vor Weihnachten erhältlich. Nach 6 Bänden der Dublin Murder Squad-Serie hat die irische Autorin diesmal ein Stand-alone geschrieben: Der dunkle Garten (The Witch Elm). Ich habe mir gleich nach Erscheinen der englischen Ausgabe im Oktober das Audiobook besorgt und war nicht nur von der Geschichte selbst, sondern auch von Paul Nugents Präsentation sehr beeindruckt. Da ich die Bücher von Tana French aber auch unbedingt in meinem Bücherregal stehen haben möchte, machte ich mich im Internet auf die Suche und entdeckte, dass Barnes & Nobel signierte Exemplare des Romans anbietet. So eines musste ich haben! Leider liefert der US-amerikanische Buchhändler mit Hauptsitz in der Fifth Avenue nicht nach Österreich, aber für dieses Problem hatte ich eine Lösung: Zufällig habe ich in New York eine Freundin, und zufällig ist unser nächstes Treffen für Ende Jänner geplant: Nachdem wir uns lange Zeit nicht gesehen haben, werden wir gemeinsam durch Vietnam reisen. Also hat sie das signierte Buch für mich besorgt und wird es in einem Monat mit im Gepäck haben, wenn wir uns in Hanoi treffen. Fotos hat sie mir schon geschickt.

 

Das Leben hat es mit Toby Hennessy immer gut gemeint. Er kommt aus einer wohlhabenden anglo-irischen Familie, verlebte gemeinsam mit Cousin und Cousine  eine glückliche Kindheit und Jugend, arbeitet als erfolgreicher PR-Manager einer hippen Kunstgalerie in Dublin und hat eine bildhübsche, liebenswerte Freundin. Aber dann wird er kurz vor einer wichtigen Ausstellung in seinem eigenen Apartment überfallen und zusammengeschlagen. Danach ist nichts mehr wie zuvor.

Meine Meinung: Wie in allen ihren Geschichten bringt Tana French auch hier in einer Art Seelenstriptease die innersten Gedanken des Ich-Erzählers zu Papier und schafft es dennoch mühelos, die Geschichte voranzutreiben. So berichtet sie von einem mysteriösen Überfall und einem noch mysteriöseren Leichenfund und zeichnet gleichzeitig das Psychogramm eines Menschen, indem sie ihn von seiner Sichtweise auf das Leben und seinem Umgang mit anderen erzählen lässt. Wie die Perspektive dieser anderen aussieht, erfährt Toby lange Zeit später nicht ganz freiwillig und mit nachhaltigen Auswirkungen auf sein restliches Dasein. 

Mit welchen erzählerischen Kniffen die Autorin arbeitet, um die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten, möchte ich hier nicht verraten, nur so viel: Wer ihre Romane kennt, wird das eine oder andere Motiv wiederfinden, aber trotzdem bis zur letzten Seite immer wieder überrascht werden, wer noch keinen gelesen hat, sollte das so schnell wie möglich nachholen und gleich mit diesem beginnen. 

Tana French: The Witch Elm. Viking 2018. 528 Seiten.

Als Audiobook gelesen von Paul Nugent. Penguin Audio 2018. 22 h 7 min.

In deutscher Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann: Der Dunkle Garten. FISCHER Scherz 2018. 656 Seiten.

Prager Nächte

Der junge Gelehrte Christian Stern, unehelicher Sohn des Bischofs von Regensburg mit einer Dienstmagd, kommt im Dezember 1599 nach Prag, zu diesem Zeitpunkt Residenz des Heiligen Römischen Kaisers. Unter Rudolf II. ist die böhmische Hauptstadt ein Zentrum der Wissenschaft und der Alchimie, und Stern träumt davon, am Hof des Habsburgerkaisers sein Glück zu machen. In der Nacht seiner Ankunft stolpert er betrunken über die Leiche von Magdalena Kroll, der Tochter von Rudolfs Leibarzt. Der Fund bringt ihn zunächst in eine Kerkerzelle und dann ins Zentrum der Intrigen am Hof.Weiterlesen »

Buch Wien 2018: Im Herzen der Blutsuppe

Englischsprachige Autor*innen stehen auf der Buch Wien naturgemäß nicht im Zentrum, aber wenn schon nicht BritLit, dann wenigsten Whodunnit, und dem war einer der echten Höhepunkte der heurigen Veranstaltung gewidmet.

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Thomas Raab, Arne Dahl und Bernhard Aichner

fünf plus drei‚Weltmeister der Blutlache‘, so nennt Moderator Heinz Sichrovsky die drei Herren, die gut gelaunt von der Gästecouch in der Leselounge lächeln: Thomas Raab, Arne Dahl und Bernhard Aichner gehören zu den erfolgreichsten Krimiautoren im deutschen Sprachraum, und somit befindet sich dieses Sofa für die Zeit des Gesprächs ‚im Herzen der Blutsuppe‘. Bei den Fragen an den schwedischen Literaturwissenschafter Jan Lennard Arnalt geht es zunächst vor allem um Namen: Dass er sich für sein Pseudonym den Familiennamen des britischen Schriftstellers Roald Dahl ausgesucht habe sei Zufall, sagt er, aber Molly Blom, der Name der weiblichen Hauptfigur seiner Berger & Blom-Serie, sei ganz bestimmt kein Zufall. Weiterlesen »

Hogarth Shakespeare – Halloween Special

‚The Scottish Play‘, so nennen abergläubische Theaterleute Shakespeares Macbeth,  denn es bringt Unglück, den Titel der von Hexen und irren Mördern erzählenden Geschichte über den Kampf um die schottische Krone auszusprechen. Der norwegischen Krimiautor Jo Nesbø, Schöpfer des alkoholkranken Mordermittlers Harry Hole, hat das 1611 uraufgeführte Stück nun im Rahmen des Hogarth Shakespeare Project bearbeitet. Die deutsche Übersetzung  Macbeth – Blut wird mit Blut bezahlt basiert nicht auf dem norwegischen Original, sondern folgt der englischen Übersetzung von Don Bartlett und wurde im seit kurzem auch auf Deutsch publizierenden Penguin Verlag veröffentlicht, dem ich herzlich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars danke!

Nesbø siedelt seine Geschichte in einer heruntergekommenen Industriemetropole irgendwo im Norden an, in der es nur drei Geschäftszweige gibt, in denen man noch reich werden kann: die Casinos, die Drogen und die Politik (S. 10). Polizist Macbeth und seine Truppe können durch ihr Eingreifen eine von Macbeths Jugendfreund und Kollegen Duff geleitete Aktion gegen den Drogenhändler Sweno und seine Norse Riders retten. Daraufhin wird nicht wie erwartet Duff, sondern Macbeth vom neuen Chief Commissioner Duncan zum Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität ernannt. Aber Macbeths Geliebte Lady reicht das nicht: Die Casinobesitzerin möchte ganz nach oben, und sie weiß, wie sie den Mann an ihrer Seite dazu bekommen kann, alles für dieses Ziel zu tun.

Meine Meinung: Bei Macbeth – Blut wird mit Blut bezahlt ist genau das drin, was der Titel verspricht, und das macht die Geschichte zur perfekten Unterhaltung für alle, die sich zu Halloween einmal ganz ohne Vampire gruseln wollen. Da es mein erster Nesbø ist, kann ich nicht beurteilen, ob die dargestellte Brutalität die seiner anderen Krimis übertrifft oder sich nahtlos in eine Reihe damit stellt, aber in jedem Fall hat der Autor hier ganz tief in den Topf mit der Aufschrift ‚Blutoper‘ gegriffen und alles herausgeholt, was darin zu finden war. Keine tiefgründigen psychologischen Erklärungen für die Morde, sondern Machtgier, Sex, Drogen und aus kranker Loyalität und Logik ausgeübte Gewalt, das alles mit Dialogen wie aus einem Opernlibretto und vor einer Kulisse, in der es abwechselnd regnet und nach Exkrementen stinkt und in der auch die Luft tötet.  

Bei einer richtigen Oper weiß man meist, wie es ausgehen wird, aber man verzeiht die dick aufgetragenen Posen und vorhersehbaren Wendungen, wenn nur der Komponist sein Handwerk versteht und die Töne richtig getroffen werden. Beides ist hier der Fall. Die Figuren sind zwar stereotyp, aber in ihrer Rolle glaubwürdig, und die Story wird packend erzählt. Was mich allerdings etwas irritiert hat, ist die nur vage Festlegung in Raum und Zeit: Eine Stadt im Norden Großbritanniens (?), in der sich Politik, Polizei und organisiertes Verbrechen die Macht aufteilen, 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (?). Der Roman bekommt dadurch den Anstrich einer Dystopie, aber wenn das beabsichtigt war, dann hat sich der Autor mit diesem Anspruch dann doch ein bisschen übernommen. Da helfen auch philosophische Gespräche mit Anspielungen an Adam Smiths Wirtschaftstheorie der „Unsichtbaren Hand“ nicht, vor allem, wenn der Philosoph dann noch vollkommen unerklärlicherweise verklausuliert als Adam Hand eingebaut wird (S.29). Viel besser gefallen hat mir die Umsetzung des Motivs der drei Hexen, des berühmtesten Beispiels einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung in der Literatur: Diese lässt Nesbø als „drei Schwestern“ auftreten, mit allen dazugehörigen Assoziationen und ganz ohne schwarze Magie. 

Ich denke, wer das Genre und/oder den Autor mag wird den Extrakick des Shakespeare-Plots nett finden und sich beim Lesen gut unterhalten, aber eine in die Tiefe gehende moderne Deutung des alten Stoffs, wie das etwa  Edward St. Aubyn mit Dunbar und seine Töchter für King Lear gelungen ist, sollte man nicht erwarten. Eher ist es ein gut getunter Mix aus Sex & Drugs & Crime, leichte Kost für graue Herbsttage.

Weitere Besprechungen des Romans gibt es von Jane auf zeilenliebe und auf Safia’s Bookblog.

Jo Nesbø, Macbeth – Blut wird mit Blut bezahlt. Aus dem Englischen von André Mumot. Penguin Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH München 2018. 621 Seiten.