Bücherfasten

Von Aschermittwoch bis Ostern keine Bücher lesen, außer vielleicht am Sonntag? Das wäre ja vollkommen sinnlos, Verzicht um des Verzichts willen. Trotzdem habe ich mir für die Fastenzeit vorgenommen, auf Literatur zu verzichten, und zwar auf neu angeschaffte Literatur. Auf die Idee dazu hat mich Jule gebracht, die im letzten Beitrag in ihrer Leseecke angekündigt hat, mit Blick auf ihren SuB und auch aus Zeitmangel in nächster Zeit keine Rezensionsexemplare anfordern und anstelle von Neuerscheinungen vermehrt Bücher der Backlist lesen zu wollen. Sie hat mir mit ihrem Beitrag aus der Seele geschrieben. Auch ich komme mit dem Lesen und Besprechen kaum nach; das Beitragsbild zeigt das Regal, in dem ich meinen SuB verstaut habe, und zwar in zwei Reihen. Neben extra angeforderten Rezensionsexemplaren finden sich da Bücher, die ich als Vorbereitung auf meine Vietnamreise im heurigen Februar lesen wollte, solche, die ich letztes Jahr aus Irland mitgebracht habe, Titel von der Buchmesse 2017 und, was ganz besonders schmerzt, ein Roman, den eine sehr liebe Freundin für mich als Geburtstagsgeschenk ausgewählt hat – vor drei Jahre!

Bücher sind ein Schatz, aber nur dann, wenn sie auch gewürdigt, und das heißt in erster Linie gelesen werden. Ungelesen werden sie zu bedeutungslosen Konsumgütern, ebenso nutzlos wie das zwanzigste weiße T-Shirt oder das fünfte Paar schwarze Pumps. Daher bis Ostern kein weiteres Rezensionsexemplar, kein Spontankauf aus der Auslage einer Buchhandlung, kein Das-wollte-ich-immer-schon-lesen-Schnäppchen aus der Wühlkiste. Eine Ausnahme werde ich allerdings machen: Ende März fahre ich wieder zu Literatur im Nebel. Stargast ist heuer Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee, und ich werde mir die Chance nicht entgehen lassen, den einen oder anderen seiner Titel zu kaufen, um ihn  signieren zu lassen. Ganz oben auf meinem SuB liegt übrigens Salvage the Bones von Jesmyn Ward. Das habe ich aus Anlass des Black History Month 2018 angeschafft, und ich freue mich schon sehr darauf, es jetzt endlich zu lesen. Verzicht mit Mehrwert.

Noch einmal 2018

Gestern wurden wie jedes Jahr im Jänner die Kategoriesieger der Costa Book Awards für das vorangegangene Jahr bekanntgegeben. Aus einer insgesamt 20 Titel umfassenden Shortlist hat die Jury die Gewinner in fünf Kategorien ermittelt.

Der Costa First Novel Award geht an einen Titel, dessen Inhaltsangabe ein bisschen an „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert. In The Seven Deaths of Evelyn Hardcastle erzählt Stuart Turton von Aidan Bishop, der jeden Morgen im Körper eines anderen Gastes auf Blackheath aufwacht, jedesmal dazu verurteilt, tatenlos den Mord an Evelyn Hardcastle geschehen zu lassen, so lange, bis er den potentiellen Killer identifiziert hat. Die Übersetzungsrechte für den Roman wurden schon verkauft, und auch für die TV-Rechte gibt es schon Interessenten. Ein Murder Mystery, das ganz sicher auf meine Wunschliste kommt.

Von der Preisträgerin des Costa Novel of the Year Award war hier schon mehrmals die Rede: Sally Rooney bekommt den Preis für Normal People. Überraschend kommt das für mich nicht, und ich freue mich sehr, dass dieses Buch, das schon jetzt einen fixen Platz unter meinen All time favorites hat, den Preis bekommt. Die Autorin schreibt im Auftrag der BBC bereits am Drehbuch für die Verfilmung, und ich kann kaum glauben, dass immer noch keine Übersetzung ins Deutsche angekündigt ist.

Der Costa Biography Award geht an Bart van Es für The Cut Out Girl. Darin beschreibt er die Lebensgeschichte der um 1932 geborenen Lien, die von den holländischen Großeltern des Autors vor den Nazis versteckt worden war und nach dem Krieg als Pflegekind bei der Familie blieb, bis es einige Jahre nach Kriegsende zum Bruch kam. Daneben beleuchtet der Literaturwissenschafter aber auch die Ursache für den Konflikt seiner Großeltern mit dem Mädchen und die Wiederannäherung der Familie mit der heute 86jährigen. Die deutsche Übersetzung erscheint im Februar unter dem Titel Das Mädchen mit dem Poesiealbum bei DuMont.

Den heurigen Costa Poetry Award bekommt J.O.Moran für Assurances, ein Gedicht, das abwechselnd in Versen und in Prosa eine Betrachtung des Krieges und der nuklearen Bedrohung vom Standpunkt aller Beteiligten, sowohl der potentiellen Täter als auch ihrer möglichen Opfer liefert, und in dem auch die Bombe zu Wort kommt.

Der Costa Children’s Book Award schließlich geht an The Sky Lark’s War von Hillary McKay. Auch hier geht es um Krieg, den herannahenden Ersten Weltkrieg, der für die kleine Clarry das Ende ihrer unbeschwerten Sommer in Cornwall mit ihrem älteren Bruder und ihrem Cousin Rupert bedeutet. Viele der 60 Kinderbücher, die die Autorin seit 1992 veröffentlicht hat, sind auch in deutscher Übersetzung erhältlich, dieser Titel wird sicher folgen.

Wie jedes Jahr wird aus den fünf Kategoriesiegern der Hauptpreis ermittelt. Wer ihn bekommt, steht am 29. Jänner fest. Ich würde Sally Rooney den Preis natürlich wünschen, muss aber zugeben, dass die anderen Titel nach starker Konkurrenz klingen. Ich bin schon sehr spannt.

Best of Best of 2018

Best of-Listen gehören zum Jahreswechsel wie Feuerwerke und rosa Schweinchen, und da ich Bücherlisten liebe, beteilige ich mich gerne an diesem Brauch. Meine persönlichen Best of 2018 habe ich, getarnt als Last Minute-Geschenketipps,  schon auf ChickLitScout zusammengestellt, daher kann ich jetzt entspannt über den Zaun blicken und von anderen abschreiben. Eine ähnliche Idee hatte auch die Literaturabteilung meiner liebsten Online-Zeitung, und so folgt nun meine Auswahl der Auswahl, die von The Guardian befragte Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst und Politik getroffen haben.

US-Bestsellerautor Jonathan Franzen hat auf seiner Liste einen Roman, der auch mich heuer beeindruckt hat: Donal Ryans From a Low and Quiet Sea. Ryan erzählt zunächst die Geschichte dreier Männer vollkommen unabhängig von einander und stellt erst dann einen erhellenden Zusammenhang her. Während einer von Donal Ryans Protagonisten auf der Flucht vor dem IS ist, macht sich in einem zweiten von Franzen genannten Roman, John Wrays Godsend, eine 18-jährige aus Kalifornien in entgegengesetzte Richtung auf den Weg: Um ihrer Familie zu entkommen, reist sie nach Pakistan, nimmt die Identität eines Mannes an und gerät in die Kriegswirren in Afghanistan. Der Roman wird im Jänner unter dem Titel Gotteskind bei Rowohlt erscheinen.

Hilary Mantel, die für beide bisher erschienen Teile ihrer Thomas Cromwell-Trilogy den Man Booker Prize erhalten hat, empfiehlt mit der Anmerkung ‚wie könnte es anders sein‘ Diarmaid MacCullochs ‚meisterhafte‘ Biographie Thomas Cromwell: A Life. Auch der zweite von ihr empfohlene Titel ist eine Biographie.  In  Die Amerikanische Prinzessin (im holländischen Original: De Amerikaaase prinses) erzählt Annejet van der Zijl die Lebensgeschichte von Allene Tew, die als junge Witwe 1927 New York verließ und mehrere Ehen später Patentante der holländischen Thronfolgerin Beatrix wurde.

Auch der israelische Historiker und Sachbuchautor Yuval Noah Havarie bleibt dem eigenen Genre treu und nennt das für ihn ‚optimistischste Buch seit langem‘: Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung. (Enlightenment Now: The Case for Reason, Science, Humanism, and Progress) von Steven Pinker.

Ähnliches gilt für Nicola Sturgeon, Chefin der Scottish National Party und Erste Ministerin Schottlands. Das Sachbuch ihrer Wahl, Leadership von Doris Kearns Goodwin verspricht im Untertitel ‚Lektionen von  Abraham Lincoln, Theodore Roosevelt, Franklin D. Roosevelt und Lyndon B. Johnson für turbulente Zeiten‘, und die kann sie kurz vor dem Brexit sicher gut brauchen. Die Politikerin hat aber auch Empfehlung aus dem Bereich Fiction: Milkman, den Roman über eine junge Frau im Belfast der 1970er-Jahre, für den Anna Burns mit dem Man Booker Prize 2018 ausgezeichnet wurde. Milkman gehört auch zu den heurigen Favoriten von Kamila Shamsie, die daneben auch  einen Titel von der Longlist des Man Booker nennt, Michael Ondaatjiees Warlight (Kriegslicht). Darin wird das Erwachsenwerden zweier Kinder in London unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beleuchtet. Ein Titel von der Longlist, der mich persönlich so berührt hat wie kaum ein anderer im zu Ende gehenden Jahr, wird gleich zweimal genannt: Normal People von Sally Rooney fanden sowohl der Journalist und Sachbuchautor Mark  O’Connell als auch die Autorin Olivia Laing toll. 

Einen Titel, der es bis auf die Shortlist des Man Booker 2018 schaffte, nennt der englische Autor Robert Macfarlane einen der besten Romane des ganzen Jahrzehnts: The Overstory (Die Wurzeln des Lebens) von Richard Powers, bei dem es nicht nur um die Rettung von Mammutbäumen, sondern auch um die großen Zusammenhänge dahinter geht.

Für Singer-Songwriter Brett Anderson ist The Incurable Romantic eines der besten Bücher des Jahres. Während Autor Frank Tallis in seinen historischen Krimis den Arzt Max Liebermann im Wien der Jahrhundertwende auf Verbrecherjagd schickt, beschreibt er hier reale Fälle aus dem Berufsalltag eines klinischen Psychologen. Die deutsche Übersetzung ist als Der unheilbare Romantiker & andere Geschichten aus der Psychotherapie für Juni 2019 bei btb angekündigt.

Viv Albertine, ebenfalls Singer-Songwriter und Autorin, hat ein schon 1962 erstmals erschienenes Buch auf ihrer Liste: In Zwei Schwestern (Cassandra at the Wedding) erzählt Dorothy Baker von  einer jungen Frau, die zur Hochzeit ihrer Zwillingsschwester unterwegs ist, mit dem festen Vorsatz, diese Hochzeit zu verhindern.

Die schottische Krimiautorin Val McDermid empfiehlt wenig überraschend Krimis: The Seven Deaths of Evelyn Hardcastle von Stuart Turton, die Gothic Crimestory The Stranger Diaries von Elly Griffiths und Lou Berneys November Road, das die Verschwörungstheorie um die Ermordung John F. Kennedys mit einer bittersüßen Lovestory verbindet und im März unter dem Titel Destination Dallas bei HarperCollins auch auf Deutsch erscheinen wird.

Zum Abschluss noch ein Buch über ein Thema, das uns ganz sicher noch 2019 beschäftigen wird: Erfolgsautorin Ali Smith empfiehlt Behold, America. Darin analysiert die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Sarah Churchwell, was wirklich hinter dem Amerikanischen Traum steckt und wie Donald Trumps Schlachtruf America First damit in Zusammenhang steht.

Vielleicht findet der eine oder andere der genannten Titel ja auf Eure Leseliste für 2019. In jedem Fall wünsche ich Euch allen einen guten Rutsch in ein spannendes Neues Lesejahr!

Weihnachtsputz

Müsst Ihr auch gegen Ende des Jahres noch einmal so richtig aufräumen, die Dinge sichten und ordnen? Dann geht es Euch wie mir. Ich habe das letzte Wochenende dazu genützt, meine Bibliothek zu durchforsten, zu entscheiden, was ich behalte und wovon ich mich trenne. Das ist eine neue Erfahrung für mich, denn bis vor nicht allzu langer Zeit hatte ich den festen Vorsatz, alle Bücher, die ich je gelesen habe, auch aufzuheben. Jetzt aber haben meine Bücherregale ihre Kapazitätsgrenzen erreicht, und damit stand ich vor der Entscheidung: nichts Neues mehr anschaffen oder Vorhandenes reduzieren. Alternativlos. Verringert hat den Trennungsschmerz zudem die Erkenntnis, dass Bücher, die ich nicht ganz so gemocht hatte, ein zweites Leben bei jemandem verdienen, der mehr Freude damit hat.

Ein Ergebnis meiner Inventur ist eine Best-of-2018-Liste, die als Anregung für Last-minute-Geschenke gedacht und hier zu finden ist. Weiterlesen »

Man Booker Win

Val McDermid sitzt heute irgendwo und liest zum ersten Mal seit sieben Monaten ein Buch nur zum Vergnügen. Zumindest hat sie das in einem Interview angekündigt, das sie kurz vor der gestrigen Kür des Man Booker Prize 2018 der New York Times gegeben hat. Darin erfährt man einiges darüber, wie das Auswahlverfahren für den Literaturpreis abgelaufen ist. 171 Bücher hatten sie und die vier anderen Jurymitglieder bewältigt, bevor sie gestern Vormittag an einem geheimgehaltenen Ort in London zusammentrafen, um sich auf den Siegertitel zu einigen. Bei den Diskussionen hätte sicher so manche(r) gerne Mäuschen gespielt, denn die Juror*innen kamen aus sehr unterschiedlichen Bereichen: Da war eben die schottische Krimitautorin Val McDermid, der in London geborene und an der New York University tätige Philosoph  Kwame Anthony Appiah, der Literatur- und Kulturkritiker Leo Robson, die am Birkbeck Institute for the Humanities der University of London lehrende Feministin Jacqueline Rose und die in New Yorks Greenwich Village lebende kanadische Künstlerin und Illustratorin Leanne Sharpton. Diese Zusammensetzung spiegelt sich auch in der Longlist wider, die neben ‚typischen‘ literarischen Werken auch einen Krimi (Snap von Belinda Bauer) und zum ersten Mal auch eine Graphic Novel (Nick Drnasos Sabrina) umfasste. Beide schafften es ebensowenig auf die Shortlist wie Sally Rooneys Lovestory Normal People oder Warlightder neueste Roman von Michael Ondaatje, Gewinner des ebenfalls heuer verliehenen Golden Man Booker.Weiterlesen »