Tiro und Cicero

9783453419353_CoverDer Name Cicero war für mich eine vage Erinnerung aus dem Lateinunterricht, als ich mich vor einigen Wochen auf die Suche nach einer passenden Reiselektüre für ein Wochenende in Rom machte. Bei Robert Harris, den ich erst im November als Stargast der BuchWien erlebt hatte, bin ich fündig geworden, und ich war begeistert. Harris widmet dem römischen Staatsmann eine Trilogie, in der sich der freigelassene Sklave Tiro im Alter von fast 100 Jahren an seine Zeit als Privatsekretär des Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), erinnert, „eine anfangs aufregende, dann überraschende, später mühsame und schließlich äußerst gefährliche Aufgabe„. Weiterlesen »

EineSTADT. EinBUCH. 2017

Im Rahmen der Aktion Eine STADT. Ein Buch. verteilt die Stadt Wien seit 2002 jeden Herbst 100.000 Exemplare eines Bestsellers, heuer den Roman Letzte Nacht des in Pittsburgh geborenen Autors Stewart O’Nan. Diese letzte Nacht ist ein ganzer Arbeitstag, 4 Tage vor Weihnachten, der letzte vor der endgültigen Schließung der Filiale einer Restaurantkette, die nach Meinung der Zentrale nicht genug Profit abwirft. Manny DeLeon, der Geschäftsführer, sieht das ganz anders, und wie zum Trotz und auch aus Angst um seinen guten Ruf, schließlich ist er einer von fünf Mitarbeitern, die in einer anderen Filiale weiterarbeiten dürfen, macht er bis zur letzten Sekunde so Dienst, als könnte er sein Red Lobster dadurch retten. Scheinbar hat sich alles gegen ihn verschworen: die nicht übernommenen Mitarbeiter, die gar nicht erst zum Dienst kommen oder früher gehen, der Schneesturm, der dafür sorgt, dass kaum Gäste da sind, die Schneefräse, die nicht anspringen will. Manny lässt sich nicht unterkriegen, auch nicht davon, dass die Frau, die er liebt, soeben zum letzten Mal an seiner Seite arbeitet, und er für die, die ein Kind von ihm erwartet, unbedingt heute noch ein Weihnachtsgeschenk besorgen muss.

Meine Meinung: Eine unaufgeregte Geschichte über die Arbeitswelt kleiner Angestellter im Amerika der 2000er-Jahre. Gesellschaftskritik ohne übertriebene Dramatik, Schwarzmalerei oder Sozialromantik. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, ein Roadmovie zu sehen, auch wenn gar keine Autofahrt vorkommt. Vor der Präsentation des Buches kannte ich den Autor nicht, würde aber gerne noch weitere Bücher von ihm lesen.

Stewart O’Nan, Letzte Nacht. Deutsch von Thomas Gunkel. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage 2009, 160 Seiten.

Im englischen Original: Last Night at the Lobster. Allen & Unwin, 2017, 160 Seiten.

 

 

 

Literaturnobelpreis 2017

Heute findet die Verleihung des diesjährige Nobelpreises für Literatur  statt,  und während Bob Dylan, der Preisträger von 2016, zunächst nicht einmal zu einer Stellungnahme bereit war, dann seine Kollegin Patti Smith zur  Zeremonie schickte und sich den Preis schließlich erst im heurigen Frühjahr persönlich abholte (offensichtlich hat da jemand Nonkonformismus mit schlechtem Benehmen verwechselt), wird sich Kazuo Ishiguro, der diesjährige Preisträger, die Mühe machen, den Preis selbst im Konzerthaus von Stockholm entgegenzunehmen. Hier der Link zu Ishiguros Nobel Lecture vom 7. Dezember 2017: My Twentieth Century Evening – and Other Small Breakthroughs.

Ishiguros bekanntestes Werk ist der 1989  mit dem Man Booker Preis ausgezeichnete Roman Was vom Tag übrig blieb. Darin macht sich Stevens, Butler in einem der größten und vornehmsten Häuser Englands, 1956 auf eine mehrtätige Reise nach Cornwall, um Miss Kenton, die ehemalige Haushälterin, zu bitten, auf Darlington Hall zurückzukehren. Die Taschenbuchausgabe der deutschen Übersetzung verspricht Die bittersüße Liebesgeschichte zweier Bediensteter in einem englischen Herrenhaus, und der Roman erfüllt dieses Versprechen. Während Stevens im eleganten Ford seines neuen amerikanischen Dienstgebers durch die englische Landschaft fährt, erinnert er sich an mehrere Episoden aus der gemeinsamen Arbeit mit Miss Kenton, von der ersten Begegnung bis zu ihrem Abschied. Die Schilderungen lassen keinen Zweifel daran, dass die junge Frau bis über beide Ohren in ihren Kollegen verliebt war und innerhalb des strengen Verhaltenskodex ihres Berufsstandes nichts unversucht gelassen hatte, ihn aus der Reserve zu locken. Stevens‘ Schilderungen geben aber auch Aufschluss darüber, wieso Miss Kentons Bemühungen chancenlos bleiben mussten. Ishiguro  gelingt das Kunststück, seinen Protagonisten alles Entscheidende erzählen zu lassen, und gleichzeitig klar zu machen, dass dieser nichts verstanden hat, und das hat die Geschichte für mich so berührend gemacht: Ich habe nachvollziehen können, welche inneren Zwänge Stevens dazu bewegen, sich wie ein Scheusal zu benehmen. Weiterlesen »