Time Magazine Top 10 Non-Fiction Books 2017

Das Time Magazine hat soeben die Top-10-Liste der wichtigsten Sachbücher für das Jahr 2017 veröffentlicht, und diese möchte ich euch nicht vorenthalten, da einige wirklich interessante Titel dabei sind, auch wenn sich die Liste erwartungsgemäß ausschließlich mit amerikanischen Themen beschäftigt. Ich habe die Bücher nach meinen persönlichen Interessen gereiht, dabei aber die ursprüngliche Nummerierung beibehalten:

8. Veronica Chambers (Editor), The Meaning of Michelle. St Martin’s Press 2017, 214 S.

Die Autorin und Herausgeberin Veronica Chambers beschäftigt sich in ihren Büchern immer wieder mit Persönlichkeiten, insbesondere Frauen, die in ihrer Gesellschaft eine Vorreiterrolle spielen. Bisher sind ihre Bücher nur auf Englisch erschienen, aber das könnte sich mit dieser Sammlung von Texten über Michelle Obama ändern.

1. Hillary Rodham Clinton, What Happened. Simon & Schuster UK, 2017. 494 S.

Die Fast-Präsidentin erzählt ihre Sicht der Geschehnisse, die verhindert haben, dass sie zur ersten Frau im höchsten Amt der USA geworden sind. Das Buch ist noch nicht auf Deutsch erschienen, aber eine Übersetzung ist sehr wahrscheinlich.

10. Tina Brown, The Vanity Fair Diaries. W&N 2017, 468 S.

Tina Brown wurde 1983 im Alter von 29 Jahren zur Chefredakteurin von Vanity Fair und leitete das Hochglanzmagazin 8 Jahre lang, bevor sie zu The New Yorker wechselte. Jetzt hat sie ihre Tagebücher aus dieser Zeit veröffentlicht, auch wenn sie im Interview sagt, sie habe allzu persönliche Details weggelassen.

2. Ta-Nehisi Coates, We Were Eight Years in Power: An American Tragedy. One World 2017, 400 S.

Der Autor, Sohn eines Mitglieds der Black Panther-Bewegung, ist unter anderem auch als Blogger für die Monatszeitschrift The Atlantic tätig und setzt sich für die Rechte Schwarzer ein. Unter anderem lies er mit der Forderung aufhorchen, die USA solle an die Nachkommen der Schwarzen Wiedergutmachungszahlungen leisten. Im vorliegenden Buch beleuchtet er die Obama-Jahre aus der Perspektive des Lebens der Schwarzen unter Donald Trump.

5. Ariel Levy, The Rules Do Not Apply. Random House 2017, 224 S.

Die Hauptbotschaft, die die Autorin in ihrer Autobiographie vermittelt, ist laut Time Magazine, dass Frauen, die die Kontrolle und die freie Wahl haben, vom Leben alles verlangen, dieser Wunsch dem  Universum aber gleichgültig sei. Dieses Statement klingt für mich sehr kontroversiell, aber umso spannender.

3. David Grann, Killers Of The Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI. Doubleday 2017, 351 S.

Grand erzählt von der systematischen Ermordung des Osage-Stammes in Oklahoma, denen die Tatsache zum Verhängnis wurde, dass sich auf ihrem Land reiche Ölvorkommen befanden.

6. Roxane Gay, Hunger: A Memoir of (My) Body. Harper 2017, 320 S.

Die Autorin, eine der prominentesten amerikanischen Feministinnen, beschreibt darin, wie ihre Vergewaltigung Essstörungen ausgelöst hat. Offensichtlich macht Gay normalerweise keine Kompromisse. Die Veröffentlichung ihres vorherigen Buches hatte sie dem Verlag Simon & Schuster untersagt, nachdem dieser ein Buch eines radikalen Fernsehpredigers publiziert hatte. Auf Deutsch gibt’s die Autorin bisher leider noch nicht, aber das kann ja noch kommen.

7. Teju Cole, Blind Spot. Faber and Faber Ltd. 2017, 332 S.

Mehr als 150 Bilder werden hier von lyrischen Texten begleitet und schicken die Leser so auf eine poetische Reise. Ich hab’s ja nicht so mit Lyrik, aber die Bilder würde ich mir allemal ansehen. Teju Coles im Jahr 2012 erschienener Roman Open City ist übrigens bei Suhrkamp auch auf Deutsch erschienen, eine Übersetzung scheint also durchaus wahrscheinlich.

9. Frances Fitzgerald, The Evangelicals: The Struggle to Shape America. Simon & Schuster 2017, 752 S.

Hier geht es um ein Thema, das in Europa oft immer noch unterschätzt wird: Den starken Einfluss von erzkonservativen christlichen Religionsgemeinschaften und Predigern auf die Politik. Kein amerikanischer Politiker kann ohne die ständige Betonung seines christlichen Glaubens und seines Vertrauens in Gott damit rechnen, bei Wahlen erfolgreich zu sein. Das Buch kommt an vorletzter Stelle, nicht weil es mich nicht interessiert, sondern weil ich mich viel zu sehr gruseln würde.

4. Yuval Noah Harari, Homo Deus – A Brief History of Tomorrow. Vintage 2017, 528 S.

Der Israelische Historiker macht sich Gedanken darüber, was die Zukunft bringen wird. Das wüsste ich vielleicht nicht so gerne …

Mit welchem dieser Bücher würdet ihr beginnen?

 

 

 

 

 

King Lear als Medienmogul

Heute erscheint die deutsche Übersetzung des neueste Bandes aus der Hogarth Shakespeare-Reihe: Dunbar und seine Töchter ist Edward St Aubyns Version von Shakespeares King Lear. In Shakespeares Stück beschließt der alte König Lear, sein Reich unter seinen drei Töchtern aufzuteilen. Von der zurückhaltenden Reaktion seiner Lieblingstochter Cordelia erzürnt enterbt er sie, sie verlässt den Hof und Lear übergibt sein Erbe an Goneril und Regan, die im Gegensatz zu ihrer Schwester heuchlerisch und berechnend sind. Sobald diese beiden die Macht in Händen halten, hat jedoch jede Schmeichelei ein Ende und sie versuchen, den alten Herrscher  möglichst schnell kaltzustellen. Daraufhin kehrt Cordelia zurück, um ihren Vater zu retten. Unterstützt wird sie dabei vom Earl of Kent, einem treuen Weggefährten des Königs, der ebenfalls in Ungnade gefallen ist.

In St Aubyns Version des Stoffes ist die Titelfigur Henry Dunbar, der aus einem kleinen Verlag ein mächtiges Medienimperium aufgebaut hat. Seine Töchter Abigail und Megan haben den 80-Jährigen in ein Sanatorium in Cumbria im Nordwesten Englands verfrachtet, wo er mit Medikamenten vollgepumpt wird, um ihn ruhig zu stellen. Geholfen hat ihnen dabei Dunbars persönlicher Arzt Dr. Bob, der dafür einen Millionenbetrag bekommen hat und den die Schwestern nach Belieben für Liebesdienste zu sich beordern, die für ihn alles andere als ein Vergnügen sind. Weiterlesen »

München, Chamberlain und Churchill

Einer der Stargäste der BuchWien ist der britische Schriftsteller Robert Harris, der im Prunksaal des Heeresgeschichtlichen Museums („just like home“ ist sein augenzwinkernder Kommentar zum  opulenten Ambiente) seinen soeben auf Deutsch erschienen Roman München präsentiert hat. Munich, das Münchner Abkommen, erläutert Harris, sei in Großbritannien ein Synonym für die Schande, Nazideutschland nicht von Beginn an mit Entschiedenheit die Stirn geboten zu haben. Statt dessen trafen sich der britische Premier Neville Chamberlain, der französische Ministerpräsent Édouard Daladier und der italienische Regierungschef Benito Mussolini am 29. September 1938 mit Adolf Hitler, um sich im Münchner Abkommen darauf zu einigen, dass die Tschechoslowakei (die nicht mit am Verhandlungstisch saß) das Sudetenland an das Deutsche Reich abtreten müsse. Auf diese Weise wollte Neville Chamberlain den von Hitler ganz offensichtlich angestrebten Krieg verhindern oder zumindest hinauszögern, und diese Strategie ging als Appeasement Policy (Beschwichtigungspolitik) in die Geschichtsbücher ein und sei etwas, wofür die Briten sich heute noch schämen, erläutert Harris, der mit seinem Buch ganz bewusst versuchen möchte, diese Interpretation der Geschehnisse zurechtzurücken. Dafür sieht er gute Gründe. Er zitiert Chamberlains Nachfolger Winston Churchill: „Der arme Neville wird in der Geschichte nicht gut wegkommen, weil ich diese Geschichte schreiben werde.“ Tatsächlich erhielt Winston Churchill 1953 „für seine Meisterschaft in der historischen und biographischen Darstellung sowie für die glänzende Redekunst, mit welcher er als Verteidiger von höchsten menschlichen Werten hervortritt“ den Nobelpreis für Literatur.

Im Podiumsgespräch mit dem deutschen Kulturjournalisten und Übersetzer David Eisermann weist Harris darauf hin, dass Hitler selbst das Münchner Abkommen später als Fehler gesehen habe: Hätte er den Krieg schon 1938 beginnen können, hätte er ihn auch gewonnen, weil Großbritannien damals noch unvorbereitet gewesen wäre. Neben dem Hinauszögern des Kriegsbeginns sei Chamberlain aber noch ein weiterer kluger Schachzug gelungen, meint Harris: Er habe Hitler dazu gebracht, eine Friedenszusicherung zu unterschreiben, was es später leicht gemacht habe, ihn als unzuverlässigen Bündnispartner und Lügner zu entlarven.

Robert Harris gibt interessante Einblicke in seine Arbeitsweise. Eine wichtige Inspiration seien für ihn die Orte, an denen die im Roman dargestellten realen Geschehnisse stattgefunden haben. Erst wenn er „die Geografie inhaliert“ habe, könne er sich in die Abläufe und die Charaktere hinein fühlen. Daher habe er im Zuge der Recherchen für den Roman unter anderem Hitlers Privatwohnung in München besucht, wo dieser sich mit seiner Nichte ein Badezimmer geteilt habe, und natürlich auch den „Führerbau“, wo das Abkommen von 1938 unterzeichnet wurde und in dem sich heute die Musikhochschule befindet. So sei es ihm gelungen, die im Roman vorkommenden realen Personen glaubwürdig und realitätsnah darzustellen. Neville Chamberlain sei nicht gerade „die atemberaubendste Persönlichkeit“ gewesen, sondern eher zurückhaltend und scheu, aber die Darstellung seines Umfeldes, beispielsweise seiner Ehefrau, die für ihren ungenießbaren Kaffee bekannt war, habe ihm hier geholfen. Und auch wenn die handelnden Personen teilweise fiktive Charaktere sind, so beziehen sich die geschilderten Abläufe und Dialoge auf reale Geschehnisse. Als Beispiel nennt Harris einen Leserbrief in The Times, der nicht für den Roman erfunden wurde, sondern tatsächlich zum genannten Datum in der Zeitung erschienen war.

München wird vom Verlag als Politthriller angekündigt, und Moderator Eisermann stellt die Frage, wie man einen Thriller zustandebringen könne, wenn der Ausgang der Geschehnisse bekannt sei. Das hänge allein davon ab, wie gut er als Autor einen Spannungsbogen ziehen könne, antwortet Harris. Ob ihm das tatsächlich gelungen ist, werde ich beurteilen können, sobald ich das Buch fertig gelesen habe, zurzeit sieht es ganz danach aus.

Robert Harris, München. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Wilhelm Heyne Verlag, München 2017, 432 Seiten. 

Im englischen Original: Munich. Hutchinson London 2017, 352 Seiten.

 

buchwien 17

Nachdem ich die Lange Nacht der Bücher aus Termingründen leider verpasst habe geht es am Donnerstag zu Mittag endlich auf die buchwien. Das Programm auf der und rund um die Buchmesse, die heuer zum 10. Mal stattfindet, hat einiges zu bieten, wenn man sich für englischsprachige Literatur interessiert.

Zunächst ist da das heurige Gratisbuch im Rahmen der Aktion Eine Stadt.Ein Buch: Letzte Nacht vom US-amerikanischen Schriftsteller Stewart O’Nan. Das Buch ist 2007 erschienen und erzählt von den letzten Stunden vor der endgültigen Schließung einer Filiale der Restaurantkette Red Lobster im US-Bundesstaat Connecticut, geschildert aus Sicht des Restaurantmanagers. Ab Freitag werden 100.000 Exemplare davon kostenlos in Wiener Büchereien verteilt, und ich bin sicher, dass meine Bibliothek eines davon für mich aufhebt.

Schon Donnerstag Abend gibt es aber das erste Highlight: Robert Harris wird im Heeresgeschichtlichen Museum seinen soeben auf Deutsch erschienenen Politthriller München vorstellen, in dem es um die Verhandlungen zum Münchner Abkommen zwischen Chamberlain, Hitler, Mussolini und Daladier im Jahr 1938 geht. Wien hat da gegenüber der titelgebenden Stadt München die Nase vorn, wo das Buch erst am Freitag präsentiert wird.

Auch der dritte englischsprachige Autor der buchwien beschäftigt sich mit einem länderübergreifenden Thema: Der britische Journalist Nick Thorpe begibt sich in Donau – Eine Reise gegen den Strom auf ebendiese Reise, vom Schwarzen Meer 2857 Kilometer flussaufwärts bis zum Schwarzwald, wo Europas zweitlängster Fluss entspringt. Da ich schon lange einmal die Donau entlang reisen wollte, die in Wien anders als beispielsweise in Budapest im wahrsten Sinn des Wortes eine Rand-Erscheinung ist, werde ich diese Buchpräsentation keinesfalls verpassen. Und mal sehen, was mir beim Wandern von einem Messestand zum nächsten noch ins Auge springt, es gibt da sicher noch einiges mehr an Lesenswertem zu entdecken und zu berichten.