Easter Comfort Reading

Osterferien im Lockdown, mehr entspanntes Zuhausebleiben als mir lieb ist, aber auch eine tolle Gelegenheit, Dinge zu tun, für die ich unter anderen Umständen keine Zeit gefunden hätte: eine Playlist mit den All-time-favourites erstellen, ein ausführliches Telefonat mit den besten Freund*innen aller Zeiten führen, den Kleiderschrank von unten nach oben und wieder zurück kehren, die Lieblingsrezepte sichten und diesmal tatsächlich auch nachkochen, wieder einmal in Peter Ackroyds Shakespeare-Biographie hineinlesen und nach einer sehr langen Pause endlich einen neuen Blogbeitrag schreiben. Shakespeare passt immer, und einer seiner schönsten Texte ist für mich der Prolog zu Romeo & Julia:

Two households both alike in dignity

In fair Verona, where we lay our scene,

From ancient grudge break to new mutiny,

Where civil blood makes civil hands unclean.

From forth the fatal loins of these two foes

A pair of star-cross’d lovers take their life; 

Whose misadventur’d pitious overthrows

Doth with their death bury their parents‘ strife.

The fearful passage of their death-mark’d love,

And the continuance of their parents‘ rage,

Which, but their children’s end, nought could remove,

Is  now the two hours‘ traffic of our stage;

The which if you with patient ears attend,

What here shall miss, our toil shall strive to mend.

Der Ausgang der Geschichte ist also schon vorweggenommen, bevor auch nur ein Montague oder ein Capulet die Bühne betreten hat, und gleichzeitig gelingt es dem Old Bard in den letzten Zeilen dieses Vorworts, dem Drama mit Leichtigkeit zu begegnen. Das zeitlich unbegrenzte Nachspüren der greatest love story of them all hat mich auch über eine deutsche Übersetzung stolpern lassen, die dem englischen Text im Gegensatz zu anderen Übersetzungen zumindest annähernd das Wasser reichen kann. Die  „ganz vorzügliche und höchst beklagenswerte Tragöde von Romeo und Julia“ wird in der Übersetzung von Frank Günther aus dem Jahr 1995 – wieso kannte ich die  eigentlich nicht? – so eingeleitet:

Zwei Häuser, beide gleich an Rang und Stand

Hier in Verona, wie ihr’s gleich erlebt,

Entfachen alten Hass zu neuem Brand,

Bis Bürgerblut an Bürgerhänden klebt.

Vom unheilschwangren Schoß der Feinde sprießt

Ein Liebespaar, von bösem Stern bedroht,

Sein elend unglücklicher Sturz beschließt,

Den Streit der Eltern mit dem eignen Tod.

Der Liebe Todesglanz, ihr Leidensgang,

Und wie der Eltern langer Haß zerfiel

Und erst im Tod der Kinder spät verklang,

Zeigt euch zwei Stunden unser Bühnenspiel;

Und wir, wobei wir sehr auf Nachsicht zählen,

Wolln das verbessern, was dem Text mag fehlen.

414PishM6pL._SX312_BO1,204,203,200_Da fehlt gar nichts, und wer so wie ich auch nach diesem Wochenende noch den einen oder anderen Tag unfreiwillig zuhause bleiben wird, hat daher vielleicht Zeit und Lust,  die bei dtv erschienene zweisprachige Ausgabe zu lesen. Man kann auch zu einer Verfilmung greifen: Entweder zu Franco Zeffirellis Version aus dem Jahr 1969, oder aber zur auch nicht mehr ganz neuen Fassung von Buz Luhrmann mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes. Während Zeffirelli Shakespeare so in Szene setzte, wie der Autor es sich vielleicht gewünscht hätte, nämlich mit einer 15-jährigen Julia (Olivia Hussey) und einem 17-jährigen Romeo (Leonard Whiting) in bunten period costumes, zeigt Fuhrmann, was der Text ziemlich genau 400 Jahre nach der ersten gedruckten Veröffentlichung von 1597 immer noch hergibt, indem der Regisseur ihn unverändert, aber im MTV-Look auf eine Zeitreise nach Verona Beach, New York, schickt.

Comfort Watching also anstelle von Comfort Reading, aber immer nur zuhause wird trotzdem irgendwann unerträglich, und daher habe ich mich, auch wenn es unserem p.t. Bundeskanzler gar nicht recht gewesen wäre, irgendwann auf den Weg gemacht, um die Stadt so einzufangen, wie ich sie – hoffentlich – nicht so schnell wieder zu Gesicht bekommen werde: menschenleer. Don’t get me wrong: Die Touristenmassen, die sich mittlerweile zu jeder Jahreszeit durch jede Hauptstadt dieser Welt drängen, sind ganz und gar nicht nach meinem Geschmack, und oft habe ich sie zum Kuckuck gewünscht, wenn ich einen Samstagnachmittag in der City genießen oder einfach nur eiligen Schrittes zu einem beruflichen Termin wollte, ohne ständig in einen Selfie-Stick zu laufen. Aber Ausgangs- und Versammlungsverbot? Schon mal etwas von Grundrechten gehört? Und außerdem: Keine Buchhandlungen? Aus Gesundheitsgründen? What the f***???  

Es war ein langer Spaziergang bei strahlendem Sonnenschein unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen: mit dem Auto in die Wiener Innenstadt, nur meine Kamera und ich, kein Händeschütteln, keine Küsschen, keine unerlaubte Annäherung jedweder Art, lediglich ein kurzer Besuch (mit Schutzmaske) in einem französischen Feinkostladen, der im normalen Leben Köstlichkeiten nicht nur verkauft, sondern auch serviert. Hier einige Eindrücke von einem Stadtbummel, der mir im Gedächtnis bleiben wird:

 

Grown-Ups-667x1024Wieder Zuhause wurde es Zeit für Comfort Listening. Keine Familienfeiern? – Okay, ich bin ja durchaus kompromissbereit, also: Familienfeier im kleinsten Kreis. Aber auch die muss vorbereitet werden. Der britische Buchblogger Savidge, von dem ich auch den Titel für diesen Beitrag geklaut habe, lieferte die richtige Anregung für ein Hörbuch als Begleitung beim Ostereierfärben. Sein März 2020-Video erinnerte mich an eine Autorin, die für mich seit langem eine Garantin für Feel Good-Reads nach meinem Geschmack ist, genau das Richtige für eine Zeit, in der die gute Laune leicht abhanden kommen kann, sobald das Handy die neuesten News liefert. In ihrem jüngsten Roman Grown Ups erzählt Marian Keyes, was passiert, als Cara Casey bei der Geburtstagsfeier ihres Schwagers Johnny nach einem Schlag auf den Kopf plötzlich beginnt, die Dinge beim Namen zu nennen. Mit dem Geburtstagskind am Tisch sitzen auch Caras gutmütiger Ehemann Ed, ihr egozentrischer Schwager Liam mit seiner um vieles jüngeren Ehefrau Nell sowie der Casey-Nachwuchs, der alle Tugenden und Untugenden der Millenials vor Augen führt, während Johnnys Ehefrau Jessie, erfolgreiche Geschäftsfrau und ganz nebenbei auch noch fünffache Mutter, wie immer bei solchen Gelegenheiten in der Küche das perfekte Geburtstagsessen aus dem Hut zaubert. Die Powerfrau schafft das alles problemlos. Das glauben zumindest alle – bis Cara den Mund aufmacht…

Meine Meinung: Bisher habe ich alle Romane der irischen ChickLit-Autorin mit großen Vergnügen gelesen, und mit Grown Ups zeigt Marian Keyes wieder, wie man ernsthafte Themen in einen Unterhaltungsroman verpacken kann, ohne das Problem zu banalisieren oder ihre Leser*innen zu langweilen. Diesmal geht es vor allem um Bulimie, aber auch ihren Standpunkt zum Umgang ihres Heimatlandes mit Asylsuchenden macht die Autorin anhand einer ihrer Figuren klar. Die junge Syrerin Pearl lässt sie darüber hinaus Worte finden, die auf ein Problem aufmerksam machen, dem wohl nicht nur ich bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe: Period Poverty beschreibt die Tatsache, dass in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Frauen meist das Geld für Hygieneprodukte fehlt. So schwerwiegend all diese Probleme auch sind, Marian Keyes macht daraus leichtfüßige Unterhaltung, die von Situationskomik und Sinn für die Absurditäten des Alltags lebt. Eine deutsche Übersetzung ist leider noch nicht verfügbar, aber das englische Original ist mit mittelprächtigen Englischkenntnissen durchaus zu bewältigen. Die Hörbuchversion liest die Autorin selbst, und auch wenn die Übergänge zwischen einzeln aufgenommenen Passagen manchmal etwas holprig sind, Marian Keyes findet für jede ihrer Figuren die passende Tonart, und ihre Lesung der Beschreibung eines Familienwochenendes des Casey-Clans in einem Murder Mystery-Hotel  könnte auch als Comedysketch bestehen. 

Marian Keyes, Grown Ups, Michael Joseph Publishers 2020, 656 Seiten.

Als Hörbuch gelesen von der Autorin, Whole Story Audiobooks 2020, 17 h 3 min.

William Shakespeare, Romeo & Julia, Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Frank Günther. dtv Verlagsgesellschaft 1998, 304 Seiten. 

Stichwort #Irland (II)

Seit mehr als drei Wochen bin ich nun aus Irland zurück, höchste Zeit also für die versprochene Fortsetzung meines Reiseberichts.

#Theatre

Ich hatte das Glück, dass in Dublin diesen Sommer zwei Produktionen zu sehen sind, die jeweils einen ganz großen Namen der irischen Literatur vor den Vorhang holen. Dass die beiden renommiertesten Theater Dublins auch im Juli bespielt werden, war dabei die eine gute Nachricht, dass sich die Ticketpreise mit ca. 30 – 45 Euro in Grenzen halten die andere.

#TheGateTheatre #RoddyDoyle #TheSnapper

Gate theatre

Im Gate Theatre nördlich der O’Connell Street  läuft seit Mitte Juni  The Snapperdie erstmals gezeigte Bühnenversion von Roddy Doyles gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1990. The Snapper bildet gemeinsam mit Doyles erstem Roman The Commitments (1987) und The Van (1991) die Barrytown Trilogy, die drei Episoden aus dem Leben der Dubliner Arbeiterfamilie Rabbitte schildert. Alle drei Romane waren auch in der Filmversion höchst erfolgreich, und The Van (dt. Fish & Chips) schaffte es auf die Shortlist des Man Booker Prize, den Roddy Doyle 1993 für Paddy Clarke Ha Ha Ha auch gewann. Dieser vierte Roman spielt ebenfalls in Barrytown, North Dublin, und mit The Guts (dt. Punk is Dad) kehrte Roddy Doyle 2013 noch einmal zur Familie Rabbitte zurück.

covers doyle

Snapper ist ein in Irland gebräuchlicher Ausdruck für ein kleines Kind, und so heißt der Roman in deutscher Übersetzung auch Sharons Baby. Sharon ist die älteste Tochter von Veronica und Jimmy Rabitte sen. und gerade einmal 20, als sie ihren Eltern mitteilt, dass sie schwanger ist. Diese sind zwar einigermaßen geschockt, lassen aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie ihre Tochter unterstützen werden. Jimmy hat allerdings so seine Probleme mit dem Gedanken an den Typen, der seine Tochter geschwängert hat, vor allem, weil Sharon sich weigert, mit dem Namen dieses Mannes herauszurücken.

Das Theater war bis auf den letzten Platz ausverkauft, und die anderen Zuschauer  amüsierten sich ebenso wie ich über das Porträt einer Familie, die zwar weder viel von pädagogisch wertvollen Erziehungsmaßnahmen noch von gesunder Ernährung hält, aber füreinander da ist, wenn es darauf ankommt. Auch wenn das Thema ungewollte Schwangerschaft auf sehr humorvolle Art behandelt wird, die Geschichte ist weit von Klamauk entfernt. Statt dessen liefert sie das Porträt der Liebe eines Vaters zu seiner Tochter.

Schon allein die Tatsache, dass das Stück dort aufgeführt wird, wo es spielt, in Dublins Northside, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rotunda Hospital, wo Sharon schließlich ihr Baby zur Welt bringen wird, verleiht dem Theaterstück Atmosphäre und Authentizität, und ein Blick auf die Zuschauer um mich herum  hat sein Übriges getan. Verzaubert und sprachlos gemacht hat mich die Inszenierung ganz besonders aus drei Gründen:

  • Regisseurin Róisín McBrinn ist es gelungen, die 80er-Jahre nicht nur durch Kostüme und Musik, sondern durch die Art der Inszenierung selbst wiederauferstehen zu lassen. Genau so hätte man das Stück vielleicht auch schon vor 30 Jahren auf die Bühne gebracht. 
  • Als Teil der Handlung läuft der Familie ein Hund zu. Dieser Hund ist dank der pantomimischen Begabung der Darsteller, insbesondere von Hilda Fay als Veronica, dauernd auf der Bühne, ohne dass man ihn jemals zu Gesicht bekommt. 
  • In der letzten Szene bringt Sharon ihr Baby zu Welt, und dieser Snapper war in der Vorstellung, die ich besucht habe, keine Puppe, sondern tatsächlich ein wenige Tage oder Wochen altes Neugeborenes.

Fotografieren im Theater war nicht erlaubt, daher für alle, die zumindest einen kleinen Eindruck vom Stück bekommen wollen, hier die Links zu drei Promotionsvideos: The Snapper at the Gate; The Snapper: Meet the Kids; The Snapper: Meet the Rabattes.

#TheAbbeyTheatre  #Ulysses

abbey theatre2

In meinem Beitrag über den Bloomsday habe ich ja schon erwähnt, dass ich Ulysses von James Joyce noch nicht gelesen habe. Dieser Umstand hat mich zur perfekten Besucherin für eine Produktion des irischen Nationaltheaters The Abbey Theatre gemacht. Das ideale Publikum der Bühnenversion ‚eines der größten und wahrsten Romane aller Zeiten‘ seien Menschen, die das Buch immer lesen wollten, sich aber abschrecken ließen, zitiert die Ankündigung den Schriftsteller Dermot Bolger, der für die Adaptierung verantwortlich ist. Auf einer von allen Seiten einsehbaren Bühne treten Leopold und Molly Bloom, Stephen und Simon Daedalus und andere in einzelnen Szenen auf.

Eine zweistündige Theateraufführung kann  einen 800 Seiten-Roman nicht ersetzen, und diesen Anspruch erheben die Macher auch nicht. Trotzdem hatte ich nach Ende der Vorstellung das Gefühl, nicht nur ein unterhaltsames Stück gesehen, sondern auch eine Idee von James Joyce’s Roman bekommen zu haben. Auch echte Fans müssen zugeben, dass dieser mehr als nur die eine oder andere Länge aufweist, das kann man Graham McLarens Inszenierung nicht vorwerfen. Sie hat mich ein bisschen an eine Cabaret-Revue erinnert, wie eine lose Abfolge von Darbietungen, die von einer Rahmenhandlung zusammengehalten werden. Ein Teil des Publikums sitzt an kleinen Tischen direkt auf der Bühne, es gibt Musikuntermalung, Gesangs- und Tanzeinlagen und fast lebensgroße Puppen. Auch hier durfte ich keine Fotos machen, aber der Trailer  fängt die Atmosphäre ein. 

#JamesJoyce

James JoyceFür Dublin ist James Joyce das, was Mozart für Salzburg oder Shakespeare für Stratford-on-Avon ist. Man begegnet ihm nicht nur auf der Bühne und in Buchhandlungen, sondern an zahlreichen anderen Orten. Zunächst einmal ist da die Statue des Dichters  in der Earl Street, nur wenige Schritte vom General Post Office entfernt. Etwas anzüglich wird sie von manchen The Prick with the Stick genannt.

Wenn man von der Statue aus nach rechts in die O’Connell Street einbiegt, erreicht man nach zirka 10 Minuten das James Joyce Centre in der North Great George’s Street. Dieses liefert nicht nur Informationen zum Autor und seinen Werken, sondern zeigt auch Kuriositäten wie die Tür von No. 7 Eccles Street, der Wohnadresse von Leo Bloom im Roman Ulysses.

 

Eine weitere Pilgerstätten für James Joyce-Fans ist der James Joyce Tower. Dabei handelt es sich um einen von insgesamt 164 Martello-Türmen, die vor allem während der Napoleonischen Kriege im gesamten British Empire, von Irland bis Mauritius und Australien, errichtet wurden. Joyce verbrachte im September 1904 sechs Nächte in diesem Turm und lässt Ulysses hier beginnen. Auf Betreiben des Dubliner Künstlers John Ryan, der auch die bereits erwähnte Eingangstür zu No. 7 Eccles Street rettete, wurde der Turm 1962 in ein Museum umgewandelt und zeigt neben Erinnerungsstücken an den Schriftsteller auch den Wohnraum so, wie James Joyce ihn vorgefunden hat. Das Museum ist das ganze Jahr über geöffnet und mit dem Vorortezug DART vom Stadtzentrum aus innerhalb von weniger als einer Stunde zu erreichen. Dabei ist der Fußweg von der Station Sandycove & Glasthule in südlicher Richtung die Uferpromenade entlang schon eingerechnet.

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James Joyce Tower Dun Laoghaire
Blick vom James Joyce Tower auf die Hafenstadt Dún Laoghaire

Auch die National Library of Ireland im Stadtzentrum stellt Joyce und seine Werke in den Mittelpunkt. In Teil (III) meines Berichts werde ich Euch diese und andere #Bibliotheken und #Buchhandlungen vorstellen, die ich auf meiner Reise besucht habe.