Man Booker Crime

Eine Mutter, die nach einer Autopanne spurlos verschwindet, ein Teenager, der ganz alleine die Verantwortung für seine beiden jüngeren Schwestern übernimmt, eine Schwangere, die ihrem Ehemann nicht die Wahrheit sagt, zwei ältere Damen, die von der Polizei unterschätzt werden, sowie drei Ermittler, die einander nicht leiden können und fast nie einer Meinung sind, sich bei der Arbeit aber erstaunlich gut ergänzen, das sind die Zutaten des achten Romans der in Wales lebenden Schriftstellerin Belinda Bauer. Für Val McDermid ist es der beste Krimi, den sie seit langem gelesen hat, und da die schottische Krimiautorin heuer eines der Jurymitglieder für den Man Booker Prize ist, landete Snap auf der Longlist desselben.

Meine Meinung: Eine Rezension eines Krimis zu schreiben, ohne diesen zu spoilern, ist immer eine Herausforderung, und in diesem Fall wäre es besonders schade, zu viel zu verraten, weil die einzelnen Elemente so im Gleichgewicht sind, dass der Spannungsaufbau der Geschichte perfekt gelingt. Von der ersten Seite an schwebt über der Mutter, den verlassenen Kindern und der Schwangeren eine unentrinnbare Gefahr, und mit jedem Kapitel wird die Situation bedrohlicher. Klugerweise siedelt Belinda Bauer den Fall um die Jahrtausendwende an und kann so in einer Welt ohne allgegenwärtige Mobiltelefone und Social Media agieren. Dabei verwendet sie Motive, die man aus zahlreichen Psychothrillern kennt: eine Autopanne im Nirgendwo, eine verlassene Telefonzelle, ein nur scheinbar adrettes Haus, eine neugierige Nachbarin, ein neben einem Bett gefundenes Messer. All das könnte sehr schnell zu einer platten Anhäufung von Stereotypen werden, aber dieser Gefahr entkommt die Autorin durch genaues Beobachten und Humor: An der Lösung des Falles arbeiten neben einer etwas unkultivierten jungen Kollegin die beiden unsympathischsten Ermittler, an die ich mich erinnern kann. Diese sind sosehr mit ihren eigenen Befindlichkeiten und Bekundungen gegenseitiger Ablehnung beschäftigt, dass sie sich bei der Lösung des Falls selbst im Weg stehen. Die Geschichte bietet zwar einige Überraschungen, aber keinen echten Twist. Damit kann die Autorin auch auf das Legen falscher Fährten verzichten und entwickelt im Grunde ein ganz altmodisches Kriminalrätsel, das bis zum dramatischen Finale ausgezeichnet funktioniert, auch wenn eine Schlüsselfigur ohne für mich plausible Erklärung einfach von der Bildfläche verschwindet. Kein sicherer Tipp, aber doch ein möglicher Anwärter auf die Shortlist des Man Booker.

Sechs Krimis von Belinda Bauer sind bereits auf Deutsch erschienen, eine Übersetzung von Snap wird daher vermutlich nicht lange auf sich warten lassen.

Auch Buchweiser hat den Roman gelesen und besprochen.

Belinda Bauer, Snap. Black Swan 2018. 448 Seiten.