Schreiben wie ein Profi

Es gibt Autor*innen, die beginnen mit dem Schreiben, weil sie Spaß daran haben, finden nach einiger Zeit einen Verlag für eine ihrer Geschichten und werden von Veröffentlichung zu Veröffentlichung immer besser. Und es gibt andere, die beginnen mit dem Schreiben erst dann, wenn sie es richtig gut können. Vanessa Fox O’Loughlin gehört in die zweite Kategorie. Sie ist Irlands führender Literary Scout, gründete 2011 writing.ie, ein Online-Magazin für Literaturschaffende, und wurde als Beraterin zur Geburtshelferin für so manchen Bestseller, bevor sie selbst als Autorin durchstartete. Als Sam Blake veröffentlichte die aus England stammende Autorin 2016 ihren ersten Kriminalroman, und schon der Internetauftritt der Autorin lässt keinen Zweifel daran, dass hier keine Anfängerin am Werk ist.

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The Gutter Bookshop, Dalkey

Little Bones, der erste von bisher drei Krimis um Detective Cathy Connolly, beginnt mit der Spurensicherung nach einem Einbruch in Dalkey, genau jenem schicken Vorort von Dublin, wo mir eine etwas streng dreinschauende Buchhändlerin die Krimis von Sam Blake empfohlen hat. Der Einbruch ist eigentlich ein Routinefall, aber Cathy Connolly hat gerade entdeckt, dass sie schwanger ist, und eine übersensible Nase und ein empfindlicher Magen sind keine guten Begleiter für diesen Job, besonders dann nicht, wenn man dabei in ein Brautkleid eingenähte Babyknochen findet und die Kollegen auf der Polizeistation in Dún Laoghaire von der Schwangerschaft nichts merken sollen.

Meine Meinung: Ein guter Krimi braucht ein gutes Kriminalrätsel, aber so richtig interessant wird die Sache für mich immer dann, wenn die Geschichte der Ermittler ebenso spannend ist wie die Lösung des Falls. Detective Garda Cathy Connolly erfüllt diese Bedingung, und die Neugier darauf, wie es in ihrem Leben weitergeht, ist allein schon Grund genug, die  nächsten beiden Bände der Serie zu lesen. 

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Blick auf Dún Laoghaire und Dún Laoghaire Pier

Was den Fall selbst betrifft, hat Sam Blake Zutaten verwendet, denen ich anderswo auch schon begegnet bin: eine wohlhabende Familie, deren Mitglieder aufgrund dunkler Geheimnisse mit allerlei psychischen Befindlichkeiten zu kämpfen haben, mehrere Handlungsstränge, die sich durch den einen oder anderen wundersamen Zufall miteinander verknüpfen,  ein Ermittlerteam mit starker emotionaler Bindung, bei dem jeder Partner im entscheidenden Moment die Gedanken des anderen lesen kann, und als Würze ein in den Fall verstrickter Jugendfreund, ein Kollege mit Casanovasyndrom und ein Pathologe, der als Soziopath in die Geschichte eingeführt wird, all das vor dem Hintergrund realer gesellschaftspolitischer Entwicklungen. Alles zusammen in einen Topf, dazu eine Portion der Erfahrung, die O’Loughlins Ehemann als Mitglied der irischen Polizei, An Garda Síochána, gesammelt hat, gut durchrühren, und heraus kommt, wenn man es richtig macht, ein spannender Krimi. „Richtig machen“ heißt in diesem Fall, Stereotype subtil genug einsetzen, damit sie die Story lebendig und nicht platt machen, die Geschichte mit Bildern erzählen, die man nicht schon hundertmal gelesen hat,  Verhörszenen mit plausibler Psychologie entwerfen und einige Überraschungen bis ganz zum Schluss aufheben.  Schreiben wie ein Profi eben. 

Sam Blake, Little Bones. Twenty7 Books London 2016. 393 Seiten.