The Hollow Man

Es gibt Geschichten, die ab dem ersten Absatz dafür sorgen, dass mein Kopfkino auf schwarzweiß umstellt. The Hollow Man von Oliver Harris ist eine solche Geschichte. Detective Constable Nicholas Belsey von der Metropolitan Police wacht nach einer Nacht, an deren Verlauf er sich erst allmählich dunkel erinnern kann, mit aufgeschlagener Lippe und Dreck im Mund im Hampstead Heath Park in einer der teuersten Gegenden Londons auf. Sein Handy und seine Uhr sind weg, ebenso seine Kreditkarten, aber die waren ohnehin schon seit ein paar Tagen gesperrt. Seine Dienstmarke findet er  nach der Rückkehr aufs Revier in seinem Schreibtisch. Das Disziplinarverfahren wegen des zu Schrott gefahrenen Streifenwagens ist unvermeidlich, er ist hochverschuldet und ohne Bleibe. Es ist also nichts mehr zu retten, aber um klar im Kopf zu werden, macht er erst einmal ganz normal Dienst. Die Bishops Avenue ist die teuerste Straße im Viertel  ‚und deshalb eine der teuersten der Welt‚. Dort hat Alexis Devereux, ein russischer Oligarch, in seiner Luxusvilla einen Abschiedsbrief hinterlassen und ist verschwunden. Weiterlesen »

Lächeln

Vorbemerkung: Die nachstehende Besprechung enthält Anmerkungen dazu, wie die Geschichte ausgeht. Ich habe mich zwar bemüht, echte Spoiler zu vermeiden, aber wer ganz sicher gehen möchte, sollte vielleicht besser nicht auf Weiterlesen klicken. In jedem Fall freue ich mich schon auf eure Meinung und eure Interpretation!

Vor einigen Monaten entdeckte ich im Internetshop der irischen Buchhandelskette Dubray Books ein Angebot, an dem ich nicht vorbeigehen konnte, obwohl mein SUB eigentlich schon hoch genug war: Ein signiertes Exemplar von Roddy Doyles neuestem, bisher nur auf Englisch erschienenen Roman Smile. Jetzt war das Buch endlich an der Reihe, und das Lesen hat doppelt so lange gedauert wie erwartet. Die schlichte Sprache würde Smile eigentlich in die Kategorie der Easy Reads einordnen, wäre da nicht der Ausgang der Geschichte, der mich vollkommen verblüfft dazu veranlasst hat, sofort nach der letzten Seite wieder von vorne zu beginnen, nur um ganz sicher zu sein, dass ich da nicht etwas falsch verstanden habe. Victor Forde, 54,  hat gerade eine Trennung hinter sich. Seine wunderschöne, kluge, unkonventionelle und erfolgreiche Ex-Frau Rachel hatte ein Cateringunternehmen aufgebaut, mit dem sie zum Medienstar geworden war. Seine eigene Karriere als Journalist und Schriftsteller war nicht so recht vom Fleck gekommen, und auch sein seit langem geplantes Buch darüber, was in Irland alles falsch läuft, hat er bisher nicht schreiben können.

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Paul auf Pyros

Auf meinem Bücherregal tummeln sich noch die Weihnachtswichtel, und was das Wetter betrifft, hat der Winter hier in der Stadt erst letztes Wochenende so richtig begonnen. Trotzdem habe ich die letzten Tage im gemütlich warmen Wohnzimmer mit einem Buch verbracht, bei dem schon das Cover eher nach Sommerlektüre aussieht und dessen Inhalt diese Erwartung erfüllt.  Sabine Durrant lässt in Die Hochstapler ihre Hauptfigur Paul Morris davon erzählen, wie Ereignisse auf der griechischen Insel Pyros seinem Leben eine andere Wendung als beabsichtigt gegeben haben. Paul stammt aus relativ einfachen Verhältnissen, hat aber eine teure Privatschule besucht und in Cambridge studiert, und schon mit Anfang 20 ist es ihm gelungen, ein Buch zu veröffentlichen. Jetzt, zwei Jahrzehnte später, hat sich das, was nach dem Beginn einer großen Karriere aussah, zu einem fast bemitleidenswerten Schmarotzerdasein weiterentwickelt. Das Honorar für sein Erstlingswerk ist längst aufgebraucht, und Paul muss sich mit kleinen Schreibaufträgen über Wasser halten und jedes Pfund zweimal umdrehen. Restaurants kann er sich nur leisten, wenn andere zahlen, seine möglichst elegante Kleidung kauft er möglichst billig, Bücher und anderes lässt er mitgehen, wann immer sich die Gelegenheit dafür bietet, und die exquisit eingerichtete Wohnung im Londoner Stadtteil Bloomsbury darf er nur deshalb bewohnen, weil er die Katze des Eigentümers versorgt. Kurz bevor er aus dieser Wohnung aus- und wieder bei seiner Mutter einziehen muss, trifft er einen ehemaligen Studienkollegen, Andrew Hopkins, einen erfolgreichen Anwalt, mit dessen Schwester Florrie er während des Studiums eine kurze Affäre gehabt hatte. Durch ihn lernt Paul Alice Mackenzie kennen, eine wohlhabende Witwe und erfolgreiche Menschenrechtsanwältin. Weiterlesen »

Edward St. Aubyn & King Lear

20180106120227_IMG_0141Wenn es um Literatur geht, habe ich immer das Gefühl, mehr zu versäumen als mitzunehmen, und heute bin ich wieder über ein Puzzlestück gestolpert, das ich fast übersehen hätte. Eine der besten Informationsquellen zum Thema englischsprachige Literatur ist der Guardian Books Podcast, und in der Folge vom 19. Dezember geht es nicht nur um die Zukunft der Literatur im Allgemeinen, sondern auch um einen prominenten Autor und seine neueste Veröffentlichung: Edward St. Aubyn liest aus Dunbar (auf Deutsch: Dunbar und seine Töchter), seiner Version von Shakespeares King Lear. Ich durfte den Roman als Vorabexemplar des Verlags lesen und habe ihn zum Erscheinungstermin vorgestellt (King Lear als Medienmogul), der Podcast liefert jetzt einige Ausschnitte daraus, vom Autor gelesen, und interessante Anmerkungen St. Aubyns zu seinen Überlegungen bei der Auswahl des Stoffes und bei der Gestaltung der Charaktere. Für alle, die die vom Autor gelesenen Stellen gerne auf Deutsch mitlesen wollen: Die Ausschnitte finden sich in der deutschen Ausgabe ab Seite 143 und ab Seite 93.

Edward St Aubin, Dunbar und seine Töchter. Aus dem Englischen von Nikolaus Hansen. Albrecht Knaus Verlag München 2017, 253 Seiten. Ich danke dem Knaus-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Im Englischen Original: Dunbar. Hogarth 2017, 224 Seiten.