Hogarth Shakespeare – Halloween Special

‚The Scottish Play‘, so nennen abergläubische Theaterleute Shakespeares Macbeth,  denn es bringt Unglück, den Titel der von Hexen und irren Mördern erzählenden Geschichte über den Kampf um die schottische Krone auszusprechen. Der norwegischen Krimiautor Jo Nesbø, Schöpfer des alkoholkranken Mordermittlers Harry Hole, hat das 1611 uraufgeführte Stück nun im Rahmen des Hogarth Shakespeare Project bearbeitet. Die deutsche Übersetzung  Macbeth – Blut wird mit Blut bezahlt basiert nicht auf dem norwegischen Original, sondern folgt der englischen Übersetzung von Don Bartlett und wurde im seit kurzem auch auf Deutsch publizierenden Penguin Verlag veröffentlicht, dem ich herzlich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars danke!

Nesbø siedelt seine Geschichte in einer heruntergekommenen Industriemetropole irgendwo im Norden an, in der es nur drei Geschäftszweige gibt, in denen man noch reich werden kann: die Casinos, die Drogen und die Politik (S. 10). Polizist Macbeth und seine Truppe können durch ihr Eingreifen eine von Macbeths Jugendfreund und Kollegen Duff geleitete Aktion gegen den Drogenhändler Sweno und seine Norse Riders retten. Daraufhin wird nicht wie erwartet Duff, sondern Macbeth vom neuen Chief Commissioner Duncan zum Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität ernannt. Aber Macbeths Geliebte Lady reicht das nicht: Die Casinobesitzerin möchte ganz nach oben, und sie weiß, wie sie den Mann an ihrer Seite dazu bekommen kann, alles für dieses Ziel zu tun.

Meine Meinung: Bei Macbeth – Blut wird mit Blut bezahlt ist genau das drin, was der Titel verspricht, und das macht die Geschichte zur perfekten Unterhaltung für alle, die sich zu Halloween einmal ganz ohne Vampire gruseln wollen. Da es mein erster Nesbø ist, kann ich nicht beurteilen, ob die dargestellte Brutalität die seiner anderen Krimis übertrifft oder sich nahtlos in eine Reihe damit stellt, aber in jedem Fall hat der Autor hier ganz tief in den Topf mit der Aufschrift ‚Blutoper‘ gegriffen und alles herausgeholt, was darin zu finden war. Keine tiefgründigen psychologischen Erklärungen für die Morde, sondern Machtgier, Sex, Drogen und aus kranker Loyalität und Logik ausgeübte Gewalt, das alles mit Dialogen wie aus einem Opernlibretto und vor einer Kulisse, in der es abwechselnd regnet und nach Exkrementen stinkt und in der auch die Luft tötet.  

Bei einer richtigen Oper weiß man meist, wie es ausgehen wird, aber man verzeiht die dick aufgetragenen Posen und vorhersehbaren Wendungen, wenn nur der Komponist sein Handwerk versteht und die Töne richtig getroffen werden. Beides ist hier der Fall. Die Figuren sind zwar stereotyp, aber in ihrer Rolle glaubwürdig, und die Story wird packend erzählt. Was mich allerdings etwas irritiert hat, ist die nur vage Festlegung in Raum und Zeit: Eine Stadt im Norden Großbritanniens (?), in der sich Politik, Polizei und organisiertes Verbrechen die Macht aufteilen, 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (?). Der Roman bekommt dadurch den Anstrich einer Dystopie, aber wenn das beabsichtigt war, dann hat sich der Autor mit diesem Anspruch dann doch ein bisschen übernommen. Da helfen auch philosophische Gespräche mit Anspielungen an Adam Smiths Wirtschaftstheorie der „Unsichtbaren Hand“ nicht, vor allem, wenn der Philosoph dann noch vollkommen unerklärlicherweise verklausuliert als Adam Hand eingebaut wird (S.29). Viel besser gefallen hat mir die Umsetzung des Motivs der drei Hexen, des berühmtesten Beispiels einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung in der Literatur: Diese lässt Nesbø als „drei Schwestern“ auftreten, mit allen dazugehörigen Assoziationen und ganz ohne schwarze Magie. 

Ich denke, wer das Genre und/oder den Autor mag wird den Extrakick des Shakespeare-Plots nett finden und sich beim Lesen gut unterhalten, aber eine in die Tiefe gehende moderne Deutung des alten Stoffs, wie das etwa  Edward St. Aubyn mit Dunbar und seine Töchter für King Lear gelungen ist, sollte man nicht erwarten. Eher ist es ein gut getunter Mix aus Sex & Drugs & Crime, leichte Kost für graue Herbsttage.

Weitere Besprechungen des Romans gibt es von Jane auf zeilenliebe und auf Safia’s Bookblog.

Jo Nesbø, Macbeth – Blut wird mit Blut bezahlt. Aus dem Englischen von André Mumot. Penguin Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH München 2018. 621 Seiten.

Man Booker Win

Val McDermid sitzt heute irgendwo und liest zum ersten Mal seit sieben Monaten ein Buch nur zum Vergnügen. Zumindest hat sie das in einem Interview angekündigt, das sie kurz vor der gestrigen Kür des Man Booker Prize 2018 der New York Times gegeben hat. Darin erfährt man einiges darüber, wie das Auswahlverfahren für den Literaturpreis abgelaufen ist. 171 Bücher hatten sie und die vier anderen Jurymitglieder bewältigt, bevor sie gestern Vormittag an einem geheimgehaltenen Ort in London zusammentrafen, um sich auf den Siegertitel zu einigen. Bei den Diskussionen hätte sicher so manche(r) gerne Mäuschen gespielt, denn die Juror*innen kamen aus sehr unterschiedlichen Bereichen: Da war eben die schottische Krimitautorin Val McDermid, der in London geborene und an der New York University tätige Philosoph  Kwame Anthony Appiah, der Literatur- und Kulturkritiker Leo Robson, die am Birkbeck Institute for the Humanities der University of London lehrende Feministin Jacqueline Rose und die in New Yorks Greenwich Village lebende kanadische Künstlerin und Illustratorin Leanne Sharpton. Diese Zusammensetzung spiegelt sich auch in der Longlist wider, die neben ‚typischen‘ literarischen Werken auch einen Krimi (Snap von Belinda Bauer) und zum ersten Mal auch eine Graphic Novel (Nick Drnasos Sabrina) umfasste. Beide schafften es ebensowenig auf die Shortlist wie Sally Rooneys Lovestory Normal People oder Warlightder neueste Roman von Michael Ondaatje, Gewinner des ebenfalls heuer verliehenen Golden Man Booker.Weiterlesen »

Man Booker Out

Während am kommenden Dienstag bereits der Gewinnertitel des diesjährigen Man Booker Prize bekanntgegeben wird, komme ich erst heute dazu, einen Titel vorzustellen, der es von der Longlist entgegen meinen Erwartungen nicht auf die Shortlist geschafft hat.

Im Jahr 1945 gingen unsere Eltern fort und ließen uns in der Obhut zweier Männer zurück, die möglicherweise Kriminelle waren. Wir wohnten in London, in einer Straße namens Ruvigny Gardens, und eines Morgens meinte unsere Mutter, oder vielleicht war es auch der Vater, wir sollten uns nach dem Frühstück unterhalten, und sie teilten uns mit, sie würden uns verlassen und für ein Jahr nach Singapur gehen. (S. 13 der deutschen Übersetzung).

So beginnt Warlight (in deutscher Übersetzung Kriegslicht) von Michael Ondaatje, und was folgt, ist die Geschichte eines Erwachsenwerdens unter ungewöhnlichen Bedingungen. Die in London zurückbleibenden Kinder, der 14-jährige Nathaniel und seine fast zwei Jahre ältere Schwester, sollen ein Internat besuchen und nur in den Ferien von zwei Freunden der Eltern, Walter, The Moth (Der Falter), und Norman, The Darter (Der Boxer), betreut werden. Aber Nathaniel widersetzt sich diesem Plan, zieht nach kurzer Zeit im Internat wieder nach Ruvigny Gardens und nimmt einen Nebenjob als Aushilfe in einem Restaurant an, wo er ein einige Jahre älteres Mädchen kennenlernt. Er nennt das Mädchen Agnes, denn in einem unbewohnten Apartment in der Agnes Street treffen sich die beiden regelmäßig. Während Rachel schnell beginnt, ihr eigenes Leben zu leben, begleitet Nathaniel Norman beim Schmuggeln illegal importierter Windhunde für Hunderennen und lernt dessen häufig wechselnde Freundinnen kennen, darunter die Ethnographin Olive Lawrence.

Mehr als ein Jahrzehnt später verschafft sich Nathaniel als Beamter im Außenamt Zugang zu Akten, die es ihm ermöglichen, den Hintergründen der mysteriösen Abreise seiner Eltern auf den Grund zu gehen und zu verstehen, welche Rolle die zwielichtigen Aufpasser im Leben der Familie spielten.

Meine Meinung: Warlight erzählt von Kindern, deren Eltern sich nicht vollkommen auf deren persönliches Wohlergehen konzentrieren, sondern sich einer größeren Sache gegenüber verpflichtet fühlen. Bis zur Abreise der Mutter ist das Leben von Nathaniel und Rachel so „normal“, wie es ein Leben im Krieg sein kann, danach tauchen sie in eine Welt ein, in der die alten Regeln aufgehoben sind und sie sich neu orientieren müssen. Mich hat Michael Ondaatjes Erzählung stark an die Romane von Graham Greene erinnert. Auch bei ihm geht es meist darum, welchen Einfluss die Kriege und politischen Verwicklungen des 20. Jahrhunderts auf jene haben, die, freiwillig oder unfreiwillig, in diesem weltpolitischen Geschehen zumindest eine kleine aktive Rolle spielen. Auch Greens Charaktere sind meist keine Durchschnittstypen, sondern Menschen, in deren Leben es unkonventionelle Familienkonstellationen und Partnerschaften, Brüche und Widersprüchlichkeiten gibt, und Darstellungen derartiger Lebenswelten fand ich immer faszinierend und spannend.  Fasziniert hat mich auch die Welt, die Michael Ondaatje beschreibt, nur die Spannung blieb etwas auf der Strecke. Die Frage ‚Was ist eigentlich passiert?‘ konnte ich am Ende nicht wirklich beantworten, die Schilderung des Alltags von Nathaniel in Ruvigny Gardens und die Erklärung dafür, wie es ihm gelingt, Licht in die Hintergründe zu bringen, fand ich nur bedingt glaubwürdig. 

Mein Fazit: Michael Ondaatje ist ganz sicher ein meisterhafter Erzähler, aber auch meisterhafte Erzähler benötigen zunächst einmal eine gute Geschichte.

Von  letteratura bekommt der Roman ein ‚Sehr gut‘, JMalula (Exlibris) und Constanze Matthes, die auf  Zeichen & Zeiten eine genaue Analyse mit Spoilern (!) liefert, sind begeistert, die Nomadenseele zeigt sich geradezu erbost über den Plot.

Michael Ondaatje, Warlight. Gelesen von Steve West. Random House Audio 2018. 8 h 36 min.

Übersetzung aus dem Englischen von Anna Leube: Kriegslicht. Hanser Verlag München 2018. 320 Seiten.